Alt 12.06.20, 22:44
Standard Wall Street mit Erholung auf wackeligen Beinen
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NEW YORK (Dow Jones)--Nach dem höchsten Absturz seit März am Vortag hat sich die Wall Street am Freitag leicht erholt. Allerdings schlossen die Indizes deutlich unter den Tageshochs. Denn fundamental hatte sich nichts geändert. Die Konjunkturaussichten blieben trüb und der Absturz des Vortages habe die zu hoch geflogenen Börsenhoffnung wieder ein Stück weit an die Realität angepasst. Die Warnungen der US-Notenbank vor einer nur trägen Konjunkturerholung seien ein Weckruf gewesen, hieß es im Handel. Die Chefökonomin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Gita Gopinath, blies indes ins gleiche Horn wie US-Notenbankgouverneur Jerome Powell zuvor. Auch sie sah die Erholung der globalen Konjunktur langsamer als zunächst prognostiziert vonstattengehen.

Doch auch die Optimisten meldeten sich schon wieder zu Wort. Sie verwiesen auf die Unterstützung der Zentralbanken. Die gewaltige Liquiditätsflut der Zentralbanken, aber auch der Regierungen werde früher oder später wenigstens zum Teil den Weg an die Börse finden, hieß es. Gestützt wurde diese Sicht von besser als vorausgesagt gestimmten US-Verbrauchern. Das an der Universität Michigan berechnete Verbrauchervertrauen stieg deutlicher als erwartet. Der Dow-Jones-Index kletterte um 1,9 Prozent auf 25.606 Punkte und schloss 360 Zähler unter Tageshoch - auf Wochensicht ein Minus von über 7 Prozent. S&P-500 und Nasdaq-Composite legten um 1,3 bzw. 1,0 Prozent zu. Dabei standen den 2.278 (Donnerstag: 94) Kursgewinnern an der NYSE 707 (2.930) -verlierer gegenüber. Unverändert schlossen 38 (13) Aktien.

"Es ist normal, dass der Markt am nächsten Tag eine Erholung probiert. Ich fürchte aber, diese ist eine Totgeburt, denn das Sentiment wird von den IWF-Kommentaren weiter eingetrübt (...)", warnte Chefmarktanalyst Naeem Aslam von Avatrade. Die Argumente pro und contra Aktien blieben weitgehend unverändert. Den wirtschaftlichen Schäden durch die Coronapandemie und der Sorge vor einer zweiten Infektionswelle standen die Hoffnung auf eine rasche Erholung der Ökonomie und die überschießende Liquidität gegenüber.

Öl und Gold teurer

Am Devisenmarkt bewegte sich der ICE-Dollarindex auf Tagessicht kaum. Etwas gestützt wurde der Greenback dennoch vom überraschend positiven Verbrauchervertrauen. Der Euro fiel auf 1,1246 Dollar nach einem Tageshoch bei 1,1341 Dollar. Derweil nahmen die Erwartungen an den Euro laut Bank of America zu. Fondsmanager hätten zuletzt mehr Positionen auf einen steigenden Euro aufgebaut. Optimistisch seien sie wegen des geplanten Wiederaufbaufonds und der Entspannung der Peripherie-Spreads, die auch von den Käufen der Europäischen Zentralbank profitierten. Seit Mitte Mai hat der Euro rund 5 Cent gegen den Dollar gutgemacht.

Die Ölpreise stabilisierten sich wie der Aktienmarkt, nachdem auch Erdöl einen dramatischen Preisverfall am Vortag verbucht hatte. Das Fass US-Leichtöl der Sorte WTI verbilligte sich um 0,2 Prozent auf 36,26 Dollar, europäisches Referenzöl der Sorte Brent verteuerte sich um 0,5 Prozent auf 38,73 Dollar. Der WTI-Preis ermäßigte sich gegenüber der Vorwoche um über 8 Prozent. Händler verwiesen auf die erneut gestiegenen Neuinfektionen in etlichen US-Bundesstaaten. Die Sorge vor neuen Stillstandsmaßnahmen verbunden mit dem trüben Konjunkturausblick hätten eine Ölpreiserholung verhindert, hieß es.

Gold war trotz gestiegener Risikofreude gesucht. Damit wurde das Gros der jüngsten Aufschläge verteidigt. Das Edelmetall ist auch wegen der expansiven Geldpolitik der Notenbanken gefragt und dient als Inflationsschutz. Dazu passend waren die US-Importpreise im Mai spürbar gestiegen, nachdem sie im April noch klar nachgegeben hatten. Ökonomen hatten eine weniger deutliche Zunahme im Mai prognostiziert. Zwar trug vor allem die Ölpreisentwicklung zu der Erhöhung bei. Dennoch ist die Entwicklung der Importpreise ein Indiz für die US-Inflation. Die Feinunze gewann weitere 0,3 Prozent auf 1.732 Dollar im späten Geschäft - auf Wochensicht rund 3 Prozent.

Dagegen standen Rentenpapiere im Schatten des Aktienmarkts, zumal Anleger nach einer zweitägigen Rally Gewinne einstrichen. Die Zehnjahresrendite stieg auch gestützt von der positiven Konsumstimmung mit fallenden Notierungen um 3 Basispunkte auf 0,70 Prozent. Zuvor hatten sich die Renditen vier Tage lang auf Talfahrt befunden.

Boeing-Erholung stützt Dow

Die Aufschläge im Dow gingen nicht zuletzt auf das Konto von Boeing, die Titel des Flugzeugbauers erholten sich um 11,5 Prozent, nachdem die Aktie am Vortag noch das Schlusslicht im Dow gebildet hatte. Im Tourismus- und Reisesektor erholten sich Norwegian Cruise Line, Carnival und American Airlines um bis zu 18,8 Prozent. Alle drei Papiere zählen zu den schlechtesten des Jahres.

Hertz schnellten um 35,4 Prozent in die Höhe. Der insolvente Autovermieter will über eine Kapitalerhöhung rund 1 Milliarden Dollar erlösen und damit von den zuletzt deutlichen gestiegenen Kursen profitieren. Adobe legten um 4,9 Prozent zu. Der Software- und Cloud-Konzern hatte im zweiten Geschäftsquartal mehr verdient als erwartet, weil er davon profitierte, dass viele Beschäftigte wegen der Coronapandemie von zuhause aus arbeiteten.

Die Aktie von Lululemon baute die Vortagsverluste um weitere 3,8 Prozent aus, nachdem sie bis zur Schlussglocke am Donnerstag um 4,7 Prozent gefallen war. Der Hersteller von Yogabekleidung hatte im ersten Geschäftsquartal einen überraschend deutlichen Umsatzeinbruch verzeichnet und rechnet frühestens im vierten Quartal mit einer Erholung.

Die Analysten von Goldman Sachs sind weniger pessimistisch, was den Autoabsatz im laufenden Jahr angeht. Gleichzeitig stuften die Experten die Tesla-Aktie zurück, während sie die Aktie von General Motors auf "Buy" hochstuften. Tesla büßten, zusätzlich belastet von einer Abstufung durch Morgan Stanley, 3,9 Prozent ein, GM zogen um 5,5 Prozent an. Aktien von Johnson Controls stiegen um 2,5 Prozent. Der Gebäudetechnikspezialist will wieder eigene Aktien zurückkaufen.

Kontakt zum Autor: florian.faust@wsj.com

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June 12, 2020 16:15 ET (20:15 GMT)

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