Alt 08.10.12, 00:40
Standard So tickt die Börse: Zurück zur Börsennormalität
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Die Euro-Schuldenkrise entspannt sich zusehends, Facebook hat inzwischen eine Milliarde Kunden, Steinbrück ist Kanzlerkandidat der SPD, Obama vergeigt das erste von drei Fernsehduellen gegen Mitt Romney um die US-Präsidentschaft, und heute wurden herausragend gute US-Arbeitsmarktdaten veröffentlicht. Nachdem wir das gesamte Frühjahr und den halben Sommer durch wöchentlich mit dem Ende der Euro-Zone konfrontiert wurden, lesen sich diese Schlagzeilen doch recht harmlos, oder?

Ja, an den Finanzmärkten kehrt man zurück zum Tagesgeschäft. Einzelmeldungen zu Unternehmen bewegen die entsprechenden Aktienkurse. Das ist ein großer Unterschied zur Situation von vor ein paar Monaten, als politische Entwicklungen den gesamten Aktienmarkt nach unten oder oben bewegten, ungeachtet der Geschäftsentwicklung einzelner Unternehmen. Man könnte auch sagen, in diesen Wochen trennt sich die Spreu vom Weizen :-)

Soll ich also darauf eingehen, dass es schon ein "komischer" Zufall ist, dass so kurz vor den Präsidentschaftswahlen in den USA die Arbeitslosenstatistik deutlich besser ausfällt? Durch die Medien geistert der unausgesprochene Vorwurf, Obama habe die Arbeitsmarktdaten geschönt. Das ist in meinen Augen Quatsch. Bei allem Einfluss, den der US-Präsident haben mag, und bei allen Unzulänglichkeiten, die mit der Erhebung der Arbeitsmarktdaten zusammen hängen, so ist an der monatlichen Entwicklung der Zahlen doch kaum zu rütteln. Obama hätte sich diese positiven Zahlen schon viel früher gewünscht.

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Abbildung 1: Obama


Soll ich auf Steinbrück als Gegner von Angela Merkel eingehen? Erstmals in meinem Leben entwickle ich Sympathien für einen linken Kandidaten. Immerhin hat er einen alten Vorschlag von mir aufgegriffen, im Finanzsektor das Investmentbanking vom traditionellen Bankgeschäft zu trennen. Doch ob an dieser markigen Forderung mehr dran ist als das Aufgreifen eines populären Themas, wird sich höchstens nach einem Wahlsieg Steinbrücks zeigen, und der liegt noch in weiter Ferne.

Immer wieder werde ich gefragt, ob Facebook nicht langsam eine Spekulation wert sei. Immerhin ist die Aktie von 26 auf 16 Euro gefallen. Und diese Woche wurde bekannt gegeben, dass Facebook eine Milliarde Kunden hat.

Dieses Argument verkennt die Mechanismen der Börse für einen Aktienkurs. Wenn Facebook nicht herausfindet, wie man die eine Milliarde Kunden zu Geld machen kann, dann wird niemand die Aktie kaufen. Für die hohe Bewertung, mit der das Unternehmen an die Börse ging, galt es als gegeben, dass Facebook insbesondere über mobile Plattformen wie Smartphones und Touchpads hohe Werbeeinnahmen erzielen werde. Inzwischen wissen wir, dass Facebook gerade mal über Internetbrowser auf herkömmlichen Computern Werbeeinnahmen erzielt. Einen Weg, die mobilen Nutzer zu Geld zu machen, hat auch Facebook bis heute nicht gefunden.

Eine fundamentale Bewertung des Ist-Zustands ist vor diesem Hintergrund völlig irrelevant, da Anleger, die Facebook aufgrund der Phantasie im Mobilfunkmarkt gekauft haben, weiterhin die Aktie verkaufen werden. Egal, wie "unterbewertet" die Aktie sein mag.

Zudem stehen weitere Lock-up Zeitpunkte an, zu denen Insider ihre Aktien auf den Markt werfen können. Und wir haben schon gesehen, dass die Facebook-Insider ohne Rücksicht auf den Kurs gerne große Stückzahlen auf den Markt werfen, was den Kurs weiter belasten dürfte.

Nein, ich bleibe bei Facebook weiter in der Beobachterposition.


25 JAHRE NACH DEM BÖRSENCRASH

Wir befinden uns im Monat Oktober. Vor 25 Jahren fand im Oktober einer der heftigsten Börsencrashs statt, den wir je erlebt haben. Damals waren automatisch eingegebene Orders mit Stopp Loss Option noch neu, institutionelle Anleger lobten die Möglichkeit als herausragende Errungenschaft zur Verlustbegrenzung. Doch es zeigte sich, dass daraus ein sich selbst verstärkender Prozess losgetreten werden kann: Wird eine Stopp Loss Marke unterschritten, so werden automatisch Verkaufsaufträge generiert, die den Kurs weiter in den Keller treiben und dadurch weitere Stopp Loss Marken unterschreiten lassen, was wiederum weitere automatisch generierte Verkaufsorders ... usw. Binnen weniger Stunden waren die Börsen um 20% eingebrochen.

Man hat inzwischen vielfältige Mechanismen eingeführt, damit sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen kann. Doch heute sieht die Börsenwelt ganz anders aus: High Frequency Trading macht inzwischen über 50% des Handelsvolumens an den Börsen aus. Das heißt, dass die Hälfte aller Käufe nicht mit der Absicht getätigt werden, Anteilseigner eines Unternehmens zu werden, sondern lediglich aufgrund von technischen Signalen erfolgen und binnen weniger Sekunden bereits wieder aufgelöst werden.

Am 6. Mai 2010 konnten wir erleben, wie der Dow Jones binnen weniger Minuten (nicht Stunden, wie noch vor 25 Jahren!) um 9% einbrach. Einzelaktien verloren bis zu 99% ihres Wertes. Schon am Abend war der Spuk vorbei und die Kurse hatten sich dem vorangehenden Niveau wieder angeglichen. Geschädigt wurde nur, wer in den Ausverkauf hinein seine eigene Position in Panik (oder aufgrund eines automatischen Stopp Loss Auftrags - ich rate stets davon ab, solche Stopp Loss Orders einzugeben) verkauft hat.

Ich erinnere mich an den Börsengang von Facebook, als Anleger erst in den Tagen danach erfuhren, ob und wie viele Aktien sie zugeteilt bekamen. Die Börse Nasdaq und Facebook haben noch einen Sack voll Klagen am Bein, um diesen Vorfall zu klären.

Gestern ist nach der Absplittung der Snack-Sparte Mondelez von Kraft Foods in zwei eigenständige Gesellschaften der Kurs von Kraft binnen einer Minute um 28,5% in die Höhe gesprungen. Die Ursache war erneut ein Computerfehler bei der Technologiebörse Nasdaq.

Heute führten einige fehlerhafte Aufträge bei der Börse von Mumbai, Indien, zu einem Kurssturz von 16% im Nifty Fifty (Indischer Börsenindex). Einige Einzeltitel verloren viel mehr; 40 Mrd. Euro Marktkapitalisierung wurden so binnen einer Minute vernichtet.

Welcher Anleger möchte seine ehrlich verdienten Ersparnisse noch in dieses Glücksspiel investieren? Doch in meinen Augen sind diese Ereignisse nur ein Indiz dafür, dass wir unser Finanzsystem grundlegend überarbeiten müssen. Handelssysteme sind so schnell, dass keine Regulierung hinterherkommt. Egal, was sich einzelne Länder an Einschränkungen ausdenken, durch internationale Firmen können institutionelle Händler ihre Handelssysteme so programmieren, dass sie in Bruchteilen von Sekunden die Vorteile der verschiedenen Rechtssysteme verschiedener Orte ausnutzen können.

So sympathisch mir also der Vorschlag einer Trennung des Bankgeschäfts vom Investmentgeschäft sein mag, es trifft leider noch immer nicht den Kern unseres Problems: International einheitliche Regeln für die Finanzmärkte sind erforderlich. Die fehlende Koordination in der Politik wird von institutionellen Händlern zum eigenen Vorteil ausgenutzt.

Lassen Sie sich also in den kommenden Wochen nicht ins Bockshorn jagen: Zum einen sollten Sie Stopp Loss Marken nur auf einem Zettel notieren und bei deren Unterschreiten selbst entscheiden, ob Sie tatsächlich verkaufen oder nicht. Zum Zweiten sollten Sie das Untergangsgequatsche nicht zu ernst nehmen, denn die Notenbanken weltweit fluten die Finanzmärkte. Da ist jeder noch so kleine Rückschlag an den Börsen eine Kaufgelegenheit. Und zum Dritten sollten Sie immer ein wenig Cash verfügbar haben, um im Falle solcher Flashcrashs schnell agieren und Schnäppchen kaufen zu können... wenn Sie denn schnell genug sein sollten.

Schauen wir uns einmal die wöchentliche Performance der wichtigsten Indizes an:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (04.10.2012) | Woche Δ

Dow Jones: 13.575 | 0,7%
DAX: 7.305 | 0,2%
Nikkei: 8.863 | -0,1%
Euro/US-Dollar: 1,30 | 0,6%
Euro/Yen: 101,94 | 1,7%
10-Jahres-US-Anleihe: 1,66% | 0,02
Umlaufrendite Dt: 1,17% | 0,02
Feinunze Gold: $1.792 | 0,7%
Fass Brent Öl: $112,19 | -0,3%
Kupfer: 8.304 | 0,6%
Baltic Dry Shipping: 845 | 13,6%



SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
14.09.- 21.09. ( 99): 54% / 9%
21.09.- 28.09. (101): 45% / 9%
28.09.- 05.10. (226): 49% / 15%

Kaufempfehlungen der Analysten
Deutsche Telekom, Bayer, Roche

Verkaufsempfehlungen der Analysten
AstraZeneca, Hennes+Mauritz, Nokia

Privatanleger
38. LW: 48% Bullen (154 Stimmen)
39. KW: 52% Bullen (153 Stimmen)
40. KW: 57% Bullen (141 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Bouygues S.A., Alcatel-Lucent, Pagesjaunes

Verkaufsempfehlungen der Privatanleger
Apple, Michelin, National Bank of Greece


Der DAX hat auf hohem Niveau "konsolidiert", ist also einige Tage seitwärts gelaufen und konnte so den heftigen Kursanstieg des Monats September gut verdauen. Nun bilden sich so langsam wieder Lager, die Analysten werden gleichermaßen optimistischer (49%) als auch pessimistischer (15%). Sie verlassen also ihre neutrale Haltung und entscheiden sich für die eine oder andere Richtung. Das birgt die Gefahr einer baldigen heftigen Bewegung. Entsprechend formiert sich auch unter den Privatanlegern eine Bullenfraktion (57%).

Aus technischer als auch aus Semimentsicht spricht also einiges für eine scharfe Korrektur in den nächsten Wochen. Ich will mich hier nicht gegen diese Einschätzung stellen. Allerdings dürfte eine etwaige Korrektur nur kurz anhalten, da zu vieles für weiter steigende Kurse spricht. Nutzen wir also eine technische Korrektur, so sie denn kommen sollte, zum Schnäppchenkauf.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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