Alt 06.10.09, 00:30
So tickt die Börse: Bundespräsident mit Finanz-Fachwissen
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Biene Merkel und Westerwilli werden uns wohl die nächsten vier Jahre beschäftigen. Man sagt, politische Börsen hätten kurze Beine. Wie die Rallye nach den Wahlen zeigte, konnte sich die deutsche Börse nur wenige Tage dem Korrekturbedarf der internationalen Aktienmärkte entziehen. Umso heftiger ging es denn auch anschließend bergab.

Doch eins nach dem anderen: Wir haben also in den nächsten Jahren eine schwarz/gelbe Regierung. Eine erste Reaktion war ein kräftiger Anstieg bei unseren Versorgern und Atomkraftwerksbetreibern E.On und RWE. Der Atomausstieg könnte durch die neue Koalition erneut in Frage gestellt werden. Die Lobby für den billigen Strom ist groß und die Argumente sind hinlänglich bekannt: Deutschland exportiert Atomtechnik und kauft Atomenergie in Frankreich ein, schaltet die eigenen Reaktoren jedoch vorzeitig ab. Auf der anderen Seite sind Risiken und Entsorgung noch immer ungelöst.

Im Gegenzug zum Kursanstieg bei den Versorgern knickten natürlich die Solartitel ein. Nicht nur dass eine Verlängerung der Nutzung der Atomenergie den Druck für einen Wechsel zur Solarenergie mildert, sondern zusätzlich beginnt die FDP bereits, die Solarförderung in Frage zu stellen: Sowohl die Einspeisevergütungssätze, wie sie im EEG festgeschrieben sind, sollen nach dem Jahr 2011 stärker vermindert werden als bislang geplant. Als auch ein Deckel, wie in Spanien, soll auf die Fördertöpfe gelegt werden, damit die Förderung nicht ausufert.

Das EEG ist eines der wenigen international wirklich fairen Gesetze, das den Wettbewerb fördert und auch dann noch deutschen Unternehmen zugute kommt, wenn chinesische Firmen den Markt mit Solarmodulen überfluten. Ich habe in der Solarstudie ausführlich dazu Stellung genommen. Dass nun ausgerechnet die FDP, die nach einer liberalen Wirtschaftsordnung ruft, dieses Gesetz angreifen möchte, finde ich schon merkwürdig.

Ungeachtet dessen habe ich für die HT-PLUS Abonnenten bereits Stellung zu meiner Solarempfehlung genommen: Sie ist von den Diskussionen um das EEG unbetroffen, weil ihr Geschäft überwiegend ohnehin bereits im Ausland liegt.

BUNDESPRÄSIDENT KÖHLER MIT STARKER, SACHLICHER KRITIK

Während nun die politische Reise nach Jerusalem beginnt (mal sehen, wer am Ende auf welchem Stühlchen sitzt), hat sich unser Bundespräsident Köhler zu Wort gemeldet. Einmal mehr hat der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Finanzkrise als Monster und deren Auswirkungen als noch nicht ansatzweise besiegt bezeichnet. Der Politik machte er heftige Vorwürfe, sich bereits ins Tagesgeschäft zu verabschieden, ohne die Ursachen der Krise ordnungspolitisch angegangen zu haben.

Super! Kann ich da nur sagen. Wir haben einen Bundespräsidenten, der vom Fach ist und sich auch fachlich nicht zurück hält. Und dieser Bundespräsident warnt genau vor dem Problem, das ich ebenfalls sehe: Die Konjunkturhilfen waren groß genug, um der Wirtschaft über einen Zeitraum zu helfen, nach dem die öffentliche Wahrnehmung vergessen wird, dass die Finanzkrise des vergangenen Jahres nicht geheilt sondern gerade einmal mit einem Pflaster versehen wurde. Die Wunde wird wieder aufbrechen, wenn sie nicht ordentlich versorgt wird. Und meiner Einschätzung nach wird die Wunde erst ab 2013 aufbrechen, bis dahin könnten die Konjunkturhilfen einen Aufschwung initiieren, der sich selbst nährt und verstärkt und der die Politik irgendwann glauben lässt, dass unser Finanzsystem geheilt sei.

Es ist der Zeithorizont, der hier dafür sorgt, dass die Finanzkrise wohl doch nicht dazu führt, dass es international bessere Regeln geben wird. Wir haben einen Wirtschaftsaufschwung und wer will da noch unangenehme Themen ansprechen? Viel lieber sonnt man sich in dem Erfolg der Konjunkturhilfen. Alles andere wird in der Öffentlichkeit als Miesmacherei abgestraft.

Die Finanzkrise war in meinen Augen eben noch nicht schlimm genug, um zu drastischen Einschnitten im Weltfinanzsystem zu führen. Das habe ich im März bereits geschrieben und ich sehe auch heute noch keine wesentliche Besserung. Auch mein früherer Professor Issing, ehemaliger zweiter Mann bei Bundesbank sowie EZB, der nun die Deutsche Delegation führt, die sich mit entsprechenden Vorschlägen beschäftigt, lässt leider nichts von sich hören.

Und Bundespräsident Köhler sieht diese Kritik offensichtlich genauso. Er fordert eine energische internationale Ordnungspolitik für den Finanzsektor. Insbesondere die EU müsse sich seiner Ansicht nach stärker engagieren. Die Kosten der Finanzkrise seien, so Köhler noch längst nicht verteilt. Damit meint er vermutlich sowohl die Konjunkturprogramme, als auch die zu tragenden Unternehmensverluste.

Wenn ich also seit Monaten begeistert mit der Börsenrallye mitfahre, so übersehe ich dabei nicht die grundlegenden Probleme, die uns noch eine Weile beschäftigen werden. Dennoch wäre es dumm, die Rallye zu verpassen, nur weil es noch Aufgaben gibt, die zu bewältigen sind. Und in einem Punkt widerspreche ich den vielen Weltuntergangspropheten: Die Börsen werden nicht schon in den nächsten Wochen wieder auf Tauchstation gehen, sondern es wurde eine sich selbst nährende und verstärkende Rallye gestartet, die uns noch viel Freude bereiten wird.

Was natürlich nicht vor zwischenzeitlichen Korrekturen schützt. In der vergangenen Woche gab es die insgesamt neunte Korrektur seit Beginn der Rallye im März. Mal schauen, ob die Korrektur erneut, wie alle zuvor, wieder nicht über 5% an Kursrückgang einbringt. Hier die Wochenstatistik:


INDIZES (02.10.2009)

Dow Jones: 9.487 | -2,3%
DAX: 5.467 | -2,5%
Nikkei: 9.674 | -5,8%
Euro/US-Dollar: 1,463 | -0,3%
Euro/Yen: 131,46 | -1,1%
10-Jahre-US-Anleihe: 3,22% | -0,2%
Umlaufrendite Dt: 2,93% | -0,1%
Feinunze Gold USD: $1.005,37 | 1,0%
Fass Crude Öl USD: $69,53 | 5,1%
Baltic Dry Shipping I: 2.357 | 9,0%



Der Nikkei ist besonders stark eingebrochen. Ich sehe den Grund dafür in der neuen Regierung Japans und dem ausgerufenen Ziel eines festen Yens.

Die Korrektur der abgelaufenen Woche hat auf die Stimmung bei Anlegern und Analysten geschlagen. Hier die entsprechenden Sentiment-Zahlen:

SENTIMENTDATEN

ANALYSTEN:
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen

11.-18. Sep (171): 77% / 23%
18.-25. Sep (169): 71% / 29%
25.9.-2.10. (143): 66% / 34%

ANALYSTEN KAUF
Unicredit, Danone, Novartis

ANALYSTEN VERKAUF
Aleo Solar, Alcatel-Lucent, Home Retail Group

PRIVATANLEGER:
Aktuell 57,5% Bullen (-8%, 80 Stimmen)
Durchschnittlich erwarteter DAX-Endstand für heute: 5.661

PRIVATANLEGER KAUF
Washington Mutual, AMD, RBS

PRIVATANLEGER VERKAUF
Aixtron, Aareal Bank


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel

Noch immer haben sowohl Analysten als auch Anleger eine grundsätzlich optimistische Einstellung. Insbesondere Analysten geraten langsam unter Zugzwang. Unternehmen, die sie noch auf Halten oder mit niedrigen Kurszielen versehen haben, stehen in den nächsten Wochen an, mit ihren Quartalszahlen Fakten zu schaffen. Mangels Gewinnwarnungen gehe ich davon aus, dass viele Unternehmen die positiven Erwartungen übertreffen werden. Dann werden die Analysten mit ihren pessimistischen Prognosen recht alt aussehen.

Also erfolgt bereits seit Wochen eine beispiellose Aufwertungsorgie, bei der Kursziele angehoben und Bewertungen erhöht werden. Ich kann also die Zahlen der Analysten nicht als optimistische Stimmung interpretieren, sondern viel mehr als Angst davor, falsch zu liegen. Angst davor, eine beispiellose Rallye mit zu vielen Verkaufs- und Halten-Wertungen zu verpassen.

Wie immer bin ich natürlich nicht uneingeschränkt optimistisch: Die aktuelle Korrektur hat die Kurse schon wieder an ihre Unterstützungslinien herangeführt. Es kursieren schon wieder Analysen, die eine Doppel-Top-Bildung für wahrscheinlich halten und eine heftigere Korrektur erwarten.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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