Alt 18.04.09, 14:46
So tickt die Börse: Augenwischerei oder reiner Tisch?
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3,39 USD je Aktie hat Goldman Sachs im ersten Quartal 2009 verdient. Ja, Finanzinstitute können Geld verdienen, wir haben dies bereits im Januar bei der Deutschen Bank gesehen. Der Grund: Der Handel mit festverzinslichen Papieren ist angesprungen. Ich hatte vor einigen Monaten darauf hingewiesen, dass die Konjunkturprogramme und hohen Staatsverschuldungen finanziert werden müssen: Durch die Ausgabe von Staatsanleihen, die über die etablierten Broker an den Mann gebracht werden.

Analysten haben durchschnittlich einen Gewinn von 1,64 USD erwartet. Goldman Sachs hat mehr als das Doppelte verdient. Wie konnten die Analysten so daneben liegen mit ihren Schätzungen?

Nun, die offizielle Antwort lautet: Der Gewinn aus dem Handelsgeschäft mit festverzinslichen Anleihen kann kaum prognostiziert werden. Doch eine andere Erklärung macht die Runde:

Im vergangenen Herbst wechselte Goldman Sachs das Geschäftsmodell. Das Unternehmen wurde vom Broker zur Bank. Während für Goldman Sachs als Broker das Geschäftsjahr bis Ende November lief, wurde dies nun als Bank auf das Kalenderjahr verlegt. Ende November wurde also über das abgelaufene Jahr berichtet und in der abgelaufenen Woche wurde über die ersten drei Monate von 2009 berichtet. Der Monat Dezember taucht kaum auf.

Dabei wurden im Dezember heftige Abschreibungen vorgenommen. Bezieht man den Dezember mit ein in das jüngste Ergebnis, so fällt der vermeintlich gute Gewinn auf nur noch 1,24 USD. Das liegt kräftig unter den Erwartungen der Analysten.

Ich glaube, dass einige der Analysten einfach diese Umstellung in ihren Systemen nicht richtig berücksichtigt haben und daher so falsch lagen. Goldman Sachs hat eine kleine Lücke genutzt, um möglichst unauffällig notwendige Abschreibungen vorzunehmen. Dies wird nun so dargelegt, dass das Geschäft von Goldman Sachs viel schlechter sei, als dargestellt. Es wird überall vor den Aktien von Goldman Sachs gewarnt. Ich kann diese Warnung nicht nachvollziehen, denn die Dezember-Zahlen sind, wenn sie auch nicht breitgetreten wurden, dennoch in der Bilanz enthalten und jeder Analyst hat diese Zahlen in seinem Bewertungsmodell.

Für mich ist da eine typische Geschichte für die derzeitige Börsensituation: Ergebnisse werden gemeldet, sofort werden Haare in der Suppe gefunden – doch der Aktienkurs steigt dennoch. Die Haare in der Suppe, die Sie in diesen Tagen aufgetischt bekommen, sind dazu geeignet, den privaten Kleinanleger zu verunsichern und davon abzuhalten, jetzt zu investieren. Institutionelle Anleger hingegen erkennen das historisch günstige Bewertungsniveau an den Börsen und kümmern sich nicht um solche Feinheiten: Es wird gekauft, was das Zeug hält und jeder wünscht sich eine Korrektur, um noch mehr kaufen zu können.

Nokia berichtete ein vermeintlich schlechtes Quartalsergebnis: Umsatz und Gewinn waren enttäuschend. Doch die Anzahl der verkauften Handy war angestiegen, wenngleich die Preise und Margen rückläufig sind. Dies reichte schon für einen Kurssprung um 10%. Hier wird ein Glas halb voll gesehen, selbst wenn Bären die schlechte Gewinnsituation ausschlachten.

General Electric hat ein grottenschlechtes Quartalsergebnis berichtet, dennoch steigt der Kurs. Das liegt daran, dass aus den aktuellen Entwicklungen nunmehr zu sehen ist, dass General Electric keine Finanzierungsprobleme haben wird.

Ja, die Krise schlägt bei allen Unternehmen zu Buche und die Situation ist schlecht. Doch um den alten Vergleich zu bemühen: Das Glas Wasser wird nun nicht mehr als halb leer gesehen, sondern als halb voll. Anleger realisieren, dass die Befürchtungen des vergangenen Herbstes, dass ein Großteil der Wirtschaft bankrott gehen könnte, nicht eintreten wird. Ja, es wird weitere Pleiten geben, aber nicht genug, um die Wirtschaft in eine lang anhaltende Depression zu ziehen.

Schauen wir einmal auf die Wochenperformance der wichtigsten Indizes:


INDIZES (17.04.2009)

Dow Jones: 8.131 | 0,6%
DAX: 4.676 | 4,1%
Nikkei: 8.907 | -0,6%
Euro/US-Dollar: 1,304 | -0,8%
Euro/Yen: 129,32 | -2,0%
10-Jahre-US-Anleihe: 2,93% | 0,0
Umlaufrendite Dt: 3,03% | -0,1
Feinunze Gold USD: $867,90 | -1,7%
Fass Crude Öl USD: $50,33 | -3,7%
Baltic Dry Shipping I: 1.682 | 13,8%



Erfreulich, dass sich die Frachtraten (Baltic Dry) wieder stabilisiert haben. Der Goldpreis ist wie erwartet unter 870 USD/Oz gerutscht. Wer noch nicht genug hat, der kann nun wieder Barren und Münzen einsammeln.

Der DAX hat sich wesentlich besser entwickelt als der Dow Jones. Ich habe keine Erklärung für diese unterschiedliche Entwicklung, da ich sowohl in Deutschland als auch in den USA noch eine ganze Reihe von negativer Presse sehe. Hüben wie drüben glaubt man der Rallye noch immer nicht, überall wird die bevorstehende Korrektur besprochen. Doch was ist, wenn es keine Korrektur gibt?

Auch die Sentimentdaten spiegeln dieses Missverhältnis wider:


SENTIMENTDATEN

ANALYSTEN:
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen

21.-27. Mär (149): 49,5% / 50,5%
03.-10. Apr (202): 62% / 38%
10.-17. Apr (104): 56% / 44%

ANALYSTEN KAUF
Syngenta, Volkswagen, Fresenius Medical Care

ANALYSTEN VERKAUF
Renault, Henkel, GlaxoSmithKline


PRIVATANLEGER:
Aktuell 61% Bullen (+7%!, 77 Stimmen)
Durchschnittlich erwarteter DAX-Endstand für heute: 4.520

PRIVATANLEGER KAUF
E.On, Premiere

PRIVATANLEGER VERKAUF
HypoRealEstate, American Express, Infineon


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel

Erstaunlich ist aus meiner Sicht, dass die Privatanleger deutlich bullischer eingestellt sind, als noch vor einer Woche. Die Profis hingegen, die Analysten, haben in dieser Woche eine deutlich pessimistischere Haltung eingenommen. Da will man den Markt nicht mit übermäßig vielen Kaufempfehlungen weiter anheizen, bevor man selber ausreichend long positioniert ist.

...oder aber haben die Pessimisten Recht? Immerhin waren die Immobiliendaten in den USA alles andere als rosig: Es werden wesentlich weniger Häuser gebaut, als im Vormonat. Von einer Belebung des Immobilienmarktes kann so kaum die Rede sein, oder? Doch! Ich sehe selbst diese Meldung in einem positiven Licht.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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