Alt 05.08.11, 21:05
Standard So tickt die Börse: Staatsschulden aus dem Ruder
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ITALIEN IST BELASTUNGSTEST FÜR MERKEL.

Lassen Sie sich nicht Ihre Meinung von den Märkten diktieren. Ich habe diese Woche nun Unternehmen für Unternehmen analysiert, und ich komme zu dem Schluss, dass die Aktienkurse auf einem niedrigen Niveau stehen. Anders als 1987, als Computer einen Crash auslösten, steht das KGV der S&P Titel heute bei 20 (damals 40!).

Anders als 2001, als die Internetblase platzte, gibt es heute tatsächliche Umsätze und Gewinne.

Und anders als 2007 / 2008, als der gesamte Bankensektor praktisch insolvent war, haben die Banken heute eine wesentlich bessere Bilanz aufgebaut. Zusätzlich verfügen die Unternehmen heute über die größten Liquiditätsreserven aller Zeiten, sie sind also kaum abhängig von den Banken.

Und heute drohen weltweit Staaten Pleite zu gehen – insbesondere in den Industrieländern. Italien ist nun an der Reihe. Die Frage, die ich mir in den letzten Tagen immer wieder stelle, ist: „Wird Italien Pleite gehen?“ Denn wenn das Land zahlungsunfähig wird, dann sind die Auswirkungen schlimmer als durch die Lehman-Pleite.

Immerhin ist Italien die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Und das Verhalten der Politiker ist nicht gerade hilfreich: Berlusconi stellt sich vor die Kameras und fragt: „Welche Krise?“, während Barroso bereits zwei Wochen nach der „endgültigen Lösung der EU-Schuldenkrise“ eine weitere Aufstockung des Hilfsfonds fordert. Kein Wunder, dass die Finanzmärkte bei einem solchen Hickhack nervös werden.

Immerhin bleibt Berlusconi sich selbst treu: Er hat nun die Ratingagenturen Moodys und S&P auf dem Kieker, diese Woche wurden deren Büros durchsucht und unzählige Unterlagen beschlagnahmt. Der Vorwurf: Durch gezielte negative Kommentare über die Bonität Italiens habe man die Märkte negativ beeinflusst.

Die Finanzmärkte, die den Zwang der Rating-agenturen inzwischen kennen, dass man eben Länder, die unter Beschuss sind, lieber früher abwertet als sich hinterher vorwerfen zu lassen, nichts getan zu haben, deuten diesen Gegenangriff als Verzweiflungstat eines greisen Ignoranten. Immerhin ist Berlusconi inzwischen 74 Jahre alt.

Im laufenden Jahr muss Italien noch 170 Mrd. Euro an fälligen Staatsanleihen refinanzieren. Der Zins, den die Italiener inzwischen zahlen müssen, ist mit 5,4% doppelt so hoch wie in Deutschland (2,6% für 10-Jahre laufende Staatsanleihen).

Barroso springt nun aufgeregt durch die Medien und fordert die Aufstockung des Hilfsfonds auf 1,5 Billionen Euro, eine Verdopplung. Hatte Merkel nicht kürzlich gesagt, dass wir keine weiteren Belastungen mehr zu fürchten haben? Unser Bundeskohl sagte dazu: „Die macht mir mein Europa kaputt“.

Das, was Ihren Autor dann wirklich auf die Palme bringt, sind diplomatische Analysen aus Paris, die den Deutschen nunmehr die Erreichung ihrer Ziele unterstellen: Durch den Rettungsschirm werden viele Länder Europas letztlich dem politischen (Spar)Willen Deutschlands unterworfen. Die Deutschen hätten, so die Analyse, ohne Krieg ihre Machtposition erfolgreich ausgebaut.

Wenn ich mich in Deutschland umschaue, dann finde ich nur Menschen, die eigentlich schon lange sagen: „Lasst uns doch einfach in Ruhe, wir wollen ohne europäische Streitereien vor uns hin arbeiten und unser System am Laufen halten.“ Von einem Machtstreben sehe ich da nichts, auch nicht bei Angela Merkel. Wir sind hier in eine Position gedrängt worden (Merkel hat sich aufgrund ihrer Passivität drängen lassen), in die wir nicht hinein wollen.

Zur Beantwortung der Frage, ob Italien nun Pleite gehen wird, müssen wir uns also überlegen, wie lange Angela Merkel noch ihren Schlingerkurs weiterfahren kann, ohne das letzte Quantum Vertrauen in ihrer Bevölkerung zu verspielen. Wird der Rettungsschirm vergrößert, damit auch Italien noch drunter passt? Jeder Deutsche hätte dann 9.000 Euro Kredit an die EU- Schuldenstaaten vergeben. Oder zieht sie die Reißleine?

Vor zwei Wochen hat sich Frau Merkel mehr oder weniger bedingungslos für die EU ausgesprochen. Heute schon die Reißleine zu ziehen wäre ein ähnlicher Kurswechsel, wie sie ihn in der Atompolitik betrieben hat. Es wäre ihr politisches Aus. Und nichts anderes ist maßgeblich für die Entscheidungsfindung populistischer Politiker.


VERKAUFEN ZU HÖCHSTKURSEN, KAUFEN IM TIEF

Wie sehr wünsche ich mir, ich hätte Ihnen beim DAX-Stand von 7.500 Punkten geraten, alles zu verkaufen. Und wie sehr wünsche ich mir, Ihnen in diesem Chaos nun den Tiefpunkt aufzuzeigen. Doch ich kann das nicht. Tut mir leid. Aber ich verrate Ihnen eines: Jeder, der behauptet, dies zu können, lügt.

Mit nunmehr über 20 Jahren Börsenerfahrung kann ich Ihnen sagen, dass es immer wieder Gurus gibt, die genau das behaupten. Natürlich gibt es stets Gurus, die tatsächlich zu Höchstkursen ihre Verkaufsempfehlung verschickt haben. Doch Sie dürfen nicht übersehen, dass diese Verkaufsempfehlung in der Regel schon seit Monaten, wenn nicht Jahren, jeden zweiten Tag verschickt wurde. Auch ein blindes Huhn trinkt manchmal einen Korn.

Ich habe auch schon viele Anleger getroffen, die an der Börse sehr reich geworden sind. Kein Einziger von ihnen hat das mit einer ganz-oder-gar-nicht Strategie erreicht. Selbst die erfolgreichsten Anleger geben unumwunden zu, nicht in der Lage zu sein, Höchst- und Tiefstkurse zu erkennen.

Was funktioniert, ist eine mittel- und langfristig orientierte Strategie, die man stets an die veränderten Marktbedingungen anpasst. Wir haben nun durch das Hauen und Stechen unserer lieben Politiker hüben wie drüben die Gefahr einer Rezession auf dem Schirm. Noch vor wenigen Wochen haben Unternehmen rosige Ausblicke für die zweite Jahreshälfte ausgegeben. Seither haben sich Unternehmen mit Investitionen zurückgehalten, weil politische Entscheidungen zum US-Defizit, weil Belastungen aus der EU-Schuldenkrise und weil fehlende Weitsicht bei der Finanzmarktregulierung zur Vorsicht mahnen. Man bleibt lieber ein wenig länger auf den hohen Barreserven sitzen als in so ungewissen Zeiten große Investitionen einzugehen. Und diese Haltung bremst die Wirtschaft!

Es ist also nun an der Zeit, unser Portfolio etwas defensiver auszurichten. Die Bedingungen haben sich verändert, und wir bilden diese Änderung entsprechend ab. Im heutigen Ausblick stelle ich zwei Titel mit hoher und meiner Einschätzung nach sicherer Dividende vor.

Mit dieser Strategie, niemals alles zu verkaufen und niemals alles auf eine Karte zu setzen sind wir mit dem Heibel-Ticker über die Jahre schon sehr gut gefahren. Mit einer solchen Strategie sind auch die erfolgreichen Anleger langfristig erfolgreich.

Ich habe natürlich auch erfolgreiche Anleger kennengelernt, die alles auf eine Karte setzten. Doch diese Anleger waren nur für einen kurzen Zeitraum erfolgreich. Bis heute kenne ich keinen mehr, der solche Erfolge in Serie produzieren konnte. Im Gegenteil, die meisten haben irgendwann Schiffbruch erlitten.

Gerade in den vergangenen Wochen erreichten mich viele unzufriedene Leserkommentare, ich würde zu wenig empfehlen. Wir haben keine Tradingposition, unser spekulatives Portfolio ist so klein wie selten und die alternativen Investments, vorwiegend festverzinsliche Unternehmensanleihen, sind so groß wie nie zuvor. Wir haben in den vergangenen Wochen immer wieder Positionen verkauft und verkleinert. Somit haben wir den hohen DAX-Stand für uns nutzen können.

Jetzt steht der DAX über 10% niedriger, und wir können wieder zukaufen. Ich würde das tun, denn das Einzige, was noch schlimmer werden kann, wäre, wenn sich Angela Merkel tatsächlich von der EU abwenden würde. Und sollte das der Fall sein, dann sind die Aktienkurse ohnehin nicht ihre größte Sorge.

Schauen wir uns einmal das Blutbad der Indizes an:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (04.08.2011)

Dow Jones: 11.384 | -7,0%
DAX: 6.415 | -10,8%
Nikkei: 9.300 | -5,4%
Euro/US-Dollar: 1,416 | -0,8%
Euro/Yen: 111,247 | 0,5%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,46% | -0,5
Umlaufrendite Dt: 2,23% | -0,2
Feinunze Gold USD: $1.658,30 | 2,7%
Fass Crude Öl USD: $84,96 | -12,6%
Kupfer in US$/to: 9.147 | -6,1%
Baltic Dry Shipping I: 1.268 | -0,8%


Na so was, der Goldpreis hat zugelegt. Unser Panik-Indikator ist um 2,7% angestiegen. Auch hier musste ich mir in den letzten Wochen viel Kritik anhören: Ich riet bei einem Goldpreis von 1.520 USD/Oz zum Kauf von Barren und Münzen, jedoch mit der Option unter 1.400 nochmals nachzukaufen.

Daraufhin warfen mir einige vor, ich würde zu zu hohen Preisen zum Kauf raten, wenn ich noch einen Rückschlag auf 1.400 USD/Oz erwarte. Und kurz danach warfen mir andere vor (oder waren es die Selben?), dass ich mit meinem Kursziel von 1.400 USD/Oz daneben lag, denn der Goldpreis korrigierte nicht mehr sondern hob umgehend ab.

So sage ich es noch einmal: Ich bin nicht in der Lage, Höchst- und Tiefstkurse vorherzusagen. Ich bin kein Orakel und ich bin kein Hellseher. Aber ich habe meine Erfahrung, und ich habe meine Vorgehensweise, die nun schon viele Jahre lang recht gut funktioniert. Wir haben zwar nun leider nicht soviel Gold gekauft, wie ich gerne beim heutigen Preis von 1.658 USD/Oz hätte, aber immerhin haben wir etwas, mit dem wir an der Rallye teilnehmen.

Es lohnt sich nicht, den Höchst- und Tiefstkursen nachzujagen. Mit einer schrittweisen Vorgehensweise können Sie viel nüchterner die jeweilige Marktlage beurteilen und entsprechende Entscheidungen treffen. Es fällt auch leichter, eine Entscheidung über einen kleinen Betrag zu fällen als die absolute Entscheidung mit „jetzt oder nie“.

Der DAX mit einem zweistelligen Minus ist das Schlusslicht der internationalen Indizes. Daran können Sie erkennen, dass die EU-Schuldenkrise mindestens genauso ernst genommen wird wie die US-Defizit-Diskussion.

Der Ölpreis ist unter meine beiden Marken gerauscht: Unter 90 USD/Fass und auch schon unter 85 USD/Fass. Dies wird stets zunächst als düsterer Vorbote für ein abflauendes Wirtschaftswachstum gedeutet. Doch in Wirklichkeit wird damit eine hohe Steuer vom Markt genommen, viele Unternehmen werden dadurch bereits im laufenden Quartal deutlich höhere Gewinne erzielen als erwartet.

Und darüberhinaus sinkt dadurch der Inflationsdruck sowie die Notwendigkeit der Schwellenländer, weiterhin eine restriktive Geldpolitik zu fahren.

Aber solche Argumente finden heute keinen Eingang in die Börsenberichterstattung der Medien. Medien schauen auf die Kursentwicklung und suchen sodann die Gründe für die Entwicklung.

Schauen wir uns einmal an, wie sich das Sentiment entwickelt hat:

SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
15.07.- 22.07. (551): 55% / 9%
22.07.- 29.07. (568): 59% / 9%
29.07.- 05.08. (534): 61% / 5%

Kaufempfehlungen der Analysten
Dt. Post, Continental, EADS

Verkaufempfehlungen der Analysten
Sky Dtl., Dassault Sys. S.A., Telekom Austria

Privatanleger
29. KW: 61% Bullen (193 Stimmen)
30. KW: 60% Bullen (169 Stimmen)
31. KW: 60% Bullen (176 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Commerzbank, Alcatel-Lucent, AXA

Verkaufempfehlungen der Privatanleger
Friendfinder Networks


Während insbesondere die Analysten, die ihr Mikroskop auf die Unternehmenszahlen gerichtet haben, weiter bullisch gestimmt sind, haben auch die Privatanleger ihren Optimismus trotz der jüngsten Turbulenzen nicht verloren. Wer verkauft also?

Nun, es gibt einige institutionelle Anleger, die Zwängen unterliegen. Insbesondere, wer sich in den vergangenen Wochen stark gehebelt auf steigende Kurse konzentrierte, wird nun durch seine Bank gezwungen, Sicherheiten nachzuschießen, sonst werden die Positionen liquidiert.

Und es war doch klar, dass die USA keinen Zahlungsausfall riskieren würden, oder? Und es war doch auch klar, dass Frau Merkel letztlich einlenken würde, oder? So haben viele Anleger stark gehebelt auf steigende Kurse gesetzt. Als diese nun nicht eintraten, gerieten sie unter Druck, Liquidationsverkäufe sind die Folge, ohne Rücksicht auf fundamentale Daten der entsprechenden Unternehmen.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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