Alt 15.07.11, 10:38
Standard So tickt die Börse: Leo Kirch wegweisend für die EU
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Was haben die EU und Leo Kirch gemeinsam? Beide geben Dritten die Schuld an der eigenen Schuldenmisere.

Gestern ist Leo Kirch im Alter von 84 Jahren gestorben. Er hatte in der Nachkriegszeit ein Medienimperium aufgebaut und kontrollierte in den 90er Jahren große Bereiche der deutschen Medienlandschaft. Kein Wunder, dass so ein Mensch kritisch betrachtet wird.

Verzockt hat er sich mit dem Kauf der Übertragungsrechte für die Bundesliga, als er die ARD mit Mondpreisen aus dem Rennen warf. Sein Bezahlsender Premiere (heute Sky) brachte jedoch das investierte Geld nicht ein, und so war es der Deutsche Bank Chef Rolf Breuer, der 2003 mit einem lapidaren Nebensatz, Premiere sei nicht mehr kreditwürdig, das Imperium zum Einsturz brachte.

Seither klagte Kirch vor unzähligen Gerichten mit diversen Vorwürfen gegen Rolf Breuer und die Deutsche Bank auf Schadensersatz. Die Bemerkung von Breuer habe den Kollaps erst herbeigeführt. Kirch bekam bislang in vielen Einzelpunkten Recht, allerdings scheiterte er immer wieder mit seiner Hauptforderung auf Schadensersatz.

Was wollen wir Europäer nun den Ratingagenturen vorwerfen? Durch ihre Herabstufungen die Krise noch zu verschlimmern? Mit den Spekulanten unter einer Decke zu stecken? Die Realität zu verkennen?

Während der Finanzkrise sind mitunter Banken mit „hoher Bonität“ insolvent gegangen. Die Ratingagenturen hatten die Situation verkannt und hatten noch während der Katastrophe beste Bewertungen für einzelne Finanzinstitute abgegeben. Anschließend wurde ihnen vorgeworfen, dass solche Bewertungen unnütz seien.

Heute sind die Ratingagenturen etwas schnelle: Sie stufen nun während der Katastrophe herab. Sollte also ein Land in die Insolvenz gehen, kann man den Ratingagenturen diesen Vorwurf nicht mehr machen. Dennoch dreht sich mir der Magen um, wenn ich lese, dass einzelne Ratingagenturen schon seit Jahren von den korrupten Vorgängen in Griechenland wussten und erst heute die Abstufung vornehmen.

Vor zwei Jahren hätten wir die Warnungen der Ratingagenturen benötigt, dann wären heute nicht so viele Finanzinstitute und inzwischen auch Staaten involviert. Vor zwei Jahren wäre die Katastrophe auch noch wesentlich kleiner ausgefallen als heute, nachdem jüngst die Ausgabenwut nochmals kräftig zuschlug.

Die Deutsche Bank hat Leo Kirch über viele Jahre bei seinen Investitionen und Expansionsplänen begleitet. Hätte die Deutsche Bank also nicht auch schon viel früher die Notbremse ziehen müssen, als Kirch beispielsweise überzogene Preise für die Fußballrechte finanzieren wollte?

Im Nachhinein lautet die Antwort des Risikomanagers eindeutig: Ja. Doch ist es nicht gleichzeitig unsere Kritik an den Banken, dass sie die Abschätzung der unternehmerischen Chancen und Risiken den Unternehmen überlassen sollen? Andernfalls könnte die Bank selbst ja ins Mediengeschäft einsteigen, oder? Wir erwarten also von unserer Bank, dass sie einen gewissen Spielraum für unternehmerisches Risiko lässt.

Doch wie weit muss die Bank in Krisenzeiten als Partner zur Seite stehen und wann darf sie zur Abwendung eigenen Schadens zum Henker werden? Und wie lange müssen die Ratingagenturen einzelnen Staaten Zeit geben, um den Haushalt zu vertretbaren Zinsen in Ordnung zu bringen und wann können sie zur Abwendung eigenen Schadens zum Henker werden?

Eine schwierige Frage, auf die ich keine zufriedenstellende Antwort weiß. Leider werden wir nun auch von Leo Kirch keine Antwort mehr bekommen. Er gehörte zu den wenigen Unternehmern, die Kapitalismus und hohen moralischen Anspruch vereinen konnten. Kritisiert wurde er stets für seine Macht, seinen Einfluss und seine kapitalistische Ader beim Fernsehen. Die moralische Seite von ihm wird erst heute sichtbar, wo das Privatfernsehen im Niveau nochmals um viele Stufen gesunken ist (Gewinnmaximierung!) und wo wir nicht wissen, was wir mit den Ratingagenturen tun sollen.


MOODYS UND DAGONG SETZEN US-RATING AUF BEOBACHTUNG

Nicht nur in der EU tobt die Schuldenkrise, auch in den USA sieht es nicht gut aus. Das Anheben der Defizitgrenze wird von den Republikanern blockiert, obwohl Obama schon weit weniger Steuererhöhungen fordert, als von den republikanischen Wählern erwartet wird. Es scheint also nicht um die Sache zu gehen, sondern um die Macht – und das ist häufig der Sache abträglich.

So ist es nicht verwunderlich, dass Moodys mit der Herabstufung droht, wenn nicht bald eine Einigung gefunden werde. Und die chinesische Ratingagentur, von der Ihr Autor zuvor noch nie etwas gehört hat (Dagong), droht sogar mit einer Abwertung, wenn nicht deutlichere Sparmaßnahmen zu sehen sind.

Griechenland, Irland, Portugal, nun Italien während sich die Spekulanten langsam für Spanien und Belgien aufwärmen, da kann man sich wirklich kaum noch vorstellen, dass diese Schulden alle einmal ordentlich zurückgezahlt werden.

In den USA beträgt der Schuldenstand inzwischen auch 120% des BIP. In Japan sind wir bei über 200%. Bleibt ... Tataaa: China!

Am vergangenen Freitag habe ich eine ausführliche Korrespondenz mit einem Kunden abgedruckt, der in China Geschäfte macht und eine sehr kritische Beobachtung der dortigen Lage hat. Gestern hat jedoch, allen Unkenrufen zum Trotz, hat China deutlich bessere Wirtschaftsdaten veröffentlicht, als man nach den vielen Zinsschritten erwartet hätte. Noch immer deutet also alles auf ein Soft-Landing hin, eine weiche Landung der Wirtschaft aus der Überhitzung, ohne eine Bruchlandung zu riskieren.

Das war einer der Gründe für die gestrige Kursrallye.

Aber auch US-Notenbankchef Ben Bernanke hat die Rallye angeheizt – oder für den abschließenden Ausverkauf gesorgt? So ganz sind sich die Kommentatoren da nicht einig. Bernanke hat vor einer weiterhin schwachen Konjunktur in den USA gewarnt und angekündigt, im Zweifel wieder stützend tätig zu werden (QE3 – die Liquiditätsflutung zum Dritten?). Als die Kurse dann stiegen hieß es, er habe mit seiner Aussicht auf eine weitere Liquiditätsspritze für Feierlaune an den Börsen gesorgt. Als die Kurs am Abend einbrachen hieß es, die Börse habe sich besorgt gezeigt, weil Bernanke von einer schwachen Konjunktur sprach.

So ist das, wenn die Medienmeldungen der Börse folgen – und nicht umgekehrt.

Anleger sind vor dem Hintergrund der vielen makroökonomischen Probleme (also Politik, Konjunktur, „Großwetterlage“) verunsichert und die Handelsspanne zwischen 7.000 und 7.500 Punkten im DAX bleibt bestehen. Wenn der DAX an das obere Ende stößt, folgt ein Ausverkauf. Am unteren folgt eine Rallye. Immerhin war der Ausverkauf dieser Woche aufgrund der Italien- Krise so schnell und heftig, dass der DAX vom oberen zum unteren Rand nur drei Tage brauchte. Rekordtempo!

Ein Ausbruch aus dieser Spanne dürfte erst dann erfolgen, wenn Lösungen für die Probleme in Sicht kommen. Bis dahin schwanken die Anleger zwischen guter Laune aufgrund guter Unternehmenszahlen und schlechter Laune aufgrund konjunktureller Probleme.

Schauen wir einmal, was bei den Indizes unterm Strich an Wochenbewegung übrig blieb:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (14.07.2011)

Dow Jones: 12.434 | -2,2%
DAX: 7.215 | -3,4%
Nikkei: 9.936 | -2,0%
Euro/US-Dollar: 1,416 | -1,4%
Euro/Yen: 111,94 | -4,1%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,92% | -0,2
Umlaufrendite Dt: 2,49% | -0,2
Feinunze Gold USD: $1.589,50 | 3,8%
Fass Crude Öl USD: $96,07 | -2,7%
Kupfer in US$/to: 9.655 | 1,2%
Baltic Dry Shipping I: 1.383 | -4,8%


Besonders der DAX ist diese Woche unter die Räder gekommen. Dort gehörten insbesondere die Banken und Versicherungen zu den Verlierern. Gleichzeitig haben die Automobilaktien aufgrund guter Absatzzahlen gut zulegen können.

Der krisengeschüttelte schwache Euro führt zu einem extrem starken japanischen Yen, was dem exportorientierten Land in der Nach-Katastrophenkrise nicht gerade helfen wird. So ist auch der Nikkei wieder unter die 10.000 Punkte gerutscht.


SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
24.06.- 01.07. (323): 58% / 7%
01.07.- 08.07. (368): 59% / 15%
08.07.- 15.07. (375): 55% / 10%

Kaufempfehlungen der Analysten
ArcelorMittal, Apple, Bayer

Verkaufempfehlungen der Analysten
RWE, L’Oreal, Astrazeneca

Privatanleger
26. KW: 61% Bullen (169 Stimmen)
27. KW: 68% Bullen (209 Stimmen)
28. KW: 68% Bullen (150 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
BNP Paribas, Commerzbank, Societe Generale

Verkaufempfehlungen der Privatanleger
Tokyo Electric Power

Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel


Während die Analysten wieder verunsichert scheinen, es gibt weniger Kauf- als auch Verkaufsempfehlungen, scheinen die Privatanleger in der Krise nach Chancen zu suchen. Die bullische Stimmung hat sich nicht verändert, und man betrachtet gerade die Banken als Schnäppchen. Vorsicht, würde ich da sagen, diese Spekulation kann nach hinten losgehen.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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