Alt 11.06.12, 12:21
Standard So tickt die Börse: Gerüchte reichten für Bodenbildung
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Der Boden des jüngsten Ausverkaufs wurde durch Gerüchte markiert. Gerüchte über ein Geheimtreffen der Regierungschefs der G8, oder deren Finanzminister, oder der Notenbankchefs, oder ... ach, so richtig konkret wurden die Gerüchte gar nicht. Es reichte schon zu behaupten das die Situation so ernst geworden ist, dass ein Geheimtreffen fällig wäre.

Auf diesem Geheimtreffen würde dann beschlossen, dass Deutschland sein Portemonnaie öffnet und Europa rettet, oder so ähnlich. Eine weltweit konzertierte Aktion zur Stützung der aus dem Ruder gelaufenen Finanzmärkte, Staatsfinanzen, Bankbilanzen, ...

Schlimmer als die Gerüchte selbst ist für mich die Situation, der diese Gerüchte entsprangen. Stück für Stück wurde in der Vorwoche sichtbar, wie hilflos die EU zuschauen muss, wie der Traum vom Euroland immer schwerer realisierbar wird, vielleicht sogar gar nicht mehr realisierbar ist. Die Komplexität der Probleme stellen Berichte in den Medien immer wieder dar: Unzählige Hilfstöpfe mit zig-Milliarden Euros ausgestattet reichen nicht, um die Probleme der überschuldeten Club-Med Länder zu lösen. Die vermeintlich soliden Staaten wie Deutschland sind längst ebenfalls über die Maastricht-Kriterien hinausgeschossen. Der politische Einigungsprozess in diesem Hilfschaos ist nicht definiert und schon gar nicht demokratisch legitimiert.

Das Auseinanderbrechen des Eurolandes ist nur noch eine Frage der Zeit und der Ausgestaltung. In der aktuellen Form kann der Euro nicht bestehen bleiben. Und so scheinen die Aktionen von Angela Merkel weniger auf ein gewünschtes Ziel als vielmehr auf das derzeit Mögliche ausgerichtet, was das Bild eines Durchwurschtelns erzeugt und letztlich keine vernünftige Euro-Struktur hervorbringen kann.

Diese Erkenntnis schmerzt und hat den DAX unter 6.000 Punkte gedrückt. Und wie immer, wenn es nicht mehr schlimmer kommen kann, reichen ein paar Gerüchte, um einen Boden einzuziehen und Meldungen der Folgetage werden sodann positiv interpretiert.

EZB Chef Mario Draghi widerstand (noch) der Versuchung, die Geldpolitik seines Instituts weiter auszuweiten und richtete stattdessen harte Worte an die Politik: Er werde nicht Europa stabilisieren während die Politik, deren Aufgabe eigentlich entsprechende Strukturreformen seien, untätig zuschaue.

Ich habe dieser Aussage entnommen, dass Draghi durchaus bereits ist, die Finanzmärkte mit zusätzlicher Liquidität zu fluten, wenn die Politik ein bisschen mehr Strukturreformen durchsetzt.

US-Notenbankchef Ben Bernanke spricht von einer Besserung der US-Wirtschaft, hält sich aber gleichzeitig alle Möglichkeiten offen. Alle Möglichkeiten? Nun, viele Pfeile hat die Fed nicht mehr im Köcher.

Und schließlich kam zum Wochenende das Gerücht auf, dass Spanien am Wochenende endlich ein Hilfsgesuch an die EU richten werde und Hilfsgelder aus dem EFSF zur Bankenrettung in Anspruch nehmen wolle. Auch diese Meldung wurde von der Börse begrüßt, die Kurse stiegen am späten Freitag wieder an.

In meinen Augen wird an der Börse täglich gefragt, ob Euroland "jetzt" auseinanderfällt oder erst etwas später. Ich persönlich halte die Frage nach dem "wie" es auseinanderfallen wird für wichtiger. Eine Währungsreform ist kein Weltuntergang. Ich könnte mir gut vorstellen, dass Angela Merkel weiter an dem Fiskalpakt arbeitet, weiter eine wünschenswerte Struktur für den Euro anstrebt ohne dabei auf Länder wie Griechenland oder Spanien Rücksicht zu nehmen. Und die Länder die spuren, die werden mitgenommen, im Fall von Spanien oder Griechenland sogar mit ordentlichen Hilfen.

Wird Euroland also in fünf Jahren vielleicht nur noch zwölf Länder enthalten? Oder steht Deutschland in fünf Jahren alleine da?

Eine solche Entwicklung wird uns noch einige Börsenturbulenzen bescheren. Schauen wir einmal, wie sich die Börse diese Woche entwickelt hat.

Schauen wir einmal, wie sich die einzelnen Indizes diese Woche entwickelt haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (08.66.2012) | Woche ?

Dow Jones: 12.554 | 1,3%
DAX: 6.131 | -2,1%
Nikkei: 8.459 | 0,2%
Euro/US-Dollar: 1,25 | 1,3%
Euro/Yen: 99,42 | 2,6%
10-Jahres-US-Anleihe: 1,64% | 0,06
Umlaufrendite Dt: 1,01% | -0,03
Feinunze Gold: $1.594 | 2,3%
Fass Brent Öl: $99,91 | -1,4%
Kupfer: 7.298 | -1,9%
Baltic Dry Shipping: 877 | -5,0%


VALENCIA KONSUMIERT

Aufgrund einer privaten Angelegenheit war ich diese Woche ungeplant in Valencia. Eine schöne Stadt am Mittelmeer mit einem riesigen Kultur- und Wissenschaftszentrum, das erst vor fünf Jahren fertig gestellt wurde. Wenn Sie durch dieses architektonische Meisterwerk schlendern, kommt beim deutschen Steuerzahler der Neid auf: ein Vergnügungszentrum vom Feinsten, das Millionen verschlungen hat. Millionen, die in Konsumtempel gesteckt wurden, nicht in den Ausbau der Wirtschaft.

Es mag eine sehr einseitige Sichtweise sein, doch in der aktuellen Situation, wo Deutschland von aller Welt aufgefordert wird, Hilfsgelder locker zu machen, hat diese Anlage einen bitteren Beigeschmack bei mir hinterlassen. Es geht uns nicht schlecht in Deutschland, aber auch wir haben dramatische Probleme. In Teilen Deutschlands bricht die Infrastruktur zusammen, weil Instandhaltungsbudgets zu stark gekürzt wurden. Wesentliche Leistungsträger der Gesellschaft arbeiten für einen - in meinen Augen - Hungerlohn, weil an allen Ecken Gelder fehlen und zwar weil wir strukturelle Probleme haben.

Auswüchse der Dekadenz wie solche Bauten in Valencia gibt es selten, die Hamburger Elbphilharmonie ist da ein kleines Häuschen gegen das Kultur- und Wissenschaftszentrum von Valencia.

Ein Spanier erzählte mir, in seiner kleinen Firma habe man im vergangenen Monat erstmals einen Umsatzrückgang erlebt. Das Management sei froh darüber, denn nun könne man Leute entlassen und Gehälter neu verhandeln. In Spanien muss also das Geschäft erst den Bach runter gehen bevor das Management die Erlaubnis hat, mit Personalentscheidungen auf Konjunkturschwankungen zu reagieren. Ein vorausschauendes Wirtschaften ist dort also gesetzlich ausgeschlossen. Firmen können erst reagieren, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.

Auf der anderen Seite sind die Menschen dort sehr fleißig und gut ausgebildet. Doch die Ausbildung lässt die Globalisierung außer acht, ich kam mit meinem portugiesischen Spanisch besser durch als mit Englisch.

Von den Bauruinen, die sich über das Land erstrecken, brauche ich Ihnen nichts mehr zu erzählen. Das haben Sie sicherlich zur Genüge in den Medien aufgetischt bekommen.

In Valencia ist die Erkenntnis vorhanden, grundlegende Strukturreformen anzugehen. Das macht Mut. Wenn Spanien an diesem Wochenende unter den Hilfsfonds schlüpft wird man die Machbarkeit ausrechnen - das ist vielleicht noch gegeben - und dann den Blick auf ein anderes Land wenden.

Schauen wir einmal, wie sich die Stimmung unter Anlegern und Analysten entwickelt:

SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
18.05.- 25.05. (107): 53% / 7%
25.05.- 01.06. (139): 51% / 13%
01.06.- 08.06. (163): 42% / 20%

Kaufempfehlungen der Analysten
Bayer, Axel Springer, Deutsche Bank

Verkaufsempfehlungen der Analysten
Generali, RWE, AGF Mgmnt

Privatanleger
21. KW: 62% Bullen (177 Stimmen)
22. KW: 52% Bullen (152 Stimmen)
23. KW: 46% Bullen (169 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Daimler, Pagesjaunes, Citigroup

Verkaufsempfehlungen der Privatanleger
Bankia, Credit Agricole, Banco Popolare


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel

Der Optimismus sowohl bei Analysten als auch bei Privatanlegern ist in dieser Woche geradezu eingebrochen. "Resignation" würde ich sagen, denn insbesondere bei den Analysten ist die Pessimistenquote mit 20% so hoch wie nie zuvor. Die Erholung an den Börsen in dieser Woche ist da eine fast schon logische Konsequenz der ausgeuferten Weltuntergangsstimmung.

TOP ANALYSTENZIELE

Sie wollen wissen, was die Analysten im Einzelnen für Aussagen treffen und wo sie die größten Chancen sehen? Ich habe für Sie ab sofort jede Woche eine Übersicht der Analysen mit den höchsten Kurszielen ausgearbeitet. Die Liste zeigt ganz einfach an, wo das aktuelle Kursziel des Analysten prozentual am meisten über dem aktuellen Kurs liegt:

Unternehmen | Analyse v. | Kurs | Kursziel | Upside

Süss Microtec | 5.6 | 7,09 € | 16,00 € | 125,67%
Elmos Semi | 6.6 | 6,94 € | 13,50 € | 94,52%
Evotec | 5.6 | 2,05 € | 3,80 € | 85,37%
Dt. Lufthansa | 8.6 | 8,25 € | 15,00 € | 81,82%
SAP AG | 6.6 | 45,66 € | 80,00 € | 75,21%
ThyssenKrupp | 8.6 | 12,08 € | 21,00 € | 73,84%
ADIDAS AG | 8.6 | 46,80 € | 80,00 € | 70,94%
TUI AG | 8.6 | 4,17 € | 7,00 € | 67,87%
BMW | 5.6 | 59,13 € | 95,00 € | 60,66%
Volkswagen VZ | 8.6 | 122,08 € | 192,00 € | 57,27%


Es handelt sich um Analysen aus dieser Woche. Bitte genießen Sie diese Übersicht mit Vorsicht. Sie wissen ja, dass häufig auch ein Eigeninteresse des Analysten für eine rosa Brille sorgen kann, weshalb Analysteneinschätzungen tendenziell optimistischer ausfallen als es die Realität anschließend erlauben würde. Aber die Übersicht gibt einen Eindruck darüber, wo die Erwartungen mit dem aktuellen Kurs am weitesten auseinander liegen. Wer letztlich Recht haben wird, der Analyst oder die Anleger, die den Kurs machen, ist in jedem Einzelfall individuell zu beurteilen.

Industrie- und Technologieunternehmen werden hier mit den höchsten Kurszielen bedacht. Doch wieder einmal ist es nicht die Aussicht auf Erfolg, die das Kursziel in die Höhe schnellen lässt, sondern vielmehr der erodierende Aktienkurs, der es Analysten schwer macht, die Kursziele schnell genug nach unten zu korrigieren. In meinen Augen ist also weiterhin Vorsicht bei diesen Empfehlungen angeraten.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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