Alt 20.10.12, 10:22
Standard So tickt die Börse: Gefährlicher Geschwindigkeitsrausch
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Heute vor 25 Jahren haben die Weltbörsen ihren schlimmsten Aktiencrash erlebt. Innerhalb eines Tages brach der Dow Jones um 22% ein. Schuld waren die damals noch modernen, im Computer hinterlegten automatischen Stopp Loss Orders, die einen einsetzenden Kursverfall so sehr beschleunigten, dass ein Überangebot von Verkaufsaufträgen auf keine Kaufaufträge traf und somit die Kurse in den Keller riss.

Kann das wieder passieren? So leid es mir tut, die Antwort lautet nicht nur "Ja", sondern ich gehe davon aus, dass ein ähnlicher Crash in den kommenden drei Jahren erneut passieren wird. Doch es gibt eine Reihe von wichtigen Unterschieden zum damaligen Szenario, die ich hier kurz aufzeigen möchte.

Arthur Burns war in den 80ger Jahren vor Paul Volcker und dann Alan Greenspan Chef der US-Notenbank Fed. Burns schaufelte Liquidität in die Märkte, und diese Liquidität drängte in die Aktienmärkte. Das KGV des S&P 500 betrug am Tag vor dem Crash von 1987 stolze 28. Heute steht es bei gerade einmal 14. Die Aktienbörse ist heute also nur halb so hoch bewertet wie damals.

Der Crash damals wurde ausgelöst durch Befürchtungen einer Überhitzung. Ich würde sagen durch berechtigte Befürchtungen. Heute sind solche Befürchtungen noch verfrüht, das KGV steht bei der Hälfte von damals, üppige Dividenden und hohe Cashbestände machen Unternehmen heute zu einem soliden Investment.

Die Computer agierten damals schneller als Menschen reagieren konnten. Wenn ich damals einen Aktienkurs wissen wollte, ging ich zu unserer lokalen Bank und schaute mir im Schaufenster die ausgestellten Kassakurse des Mittags an. Okay, ich machte zu der Zeit gerade mein Abitur und hatte anderes im Kopf, erst ein Jahr später begann ich meine Banklehre und erfuhr so von dem sensationellen Informationsangebot des Schaufensters einer Bank.

Als die Stopp Loss Orders also aktiv wurden, gab es kaum einen Investor, der schnell genug hätte reagieren können, um von dem Ausverkauf zu profitieren. Die meisten erfuhren erst abends im Fernsehen davon.

Vergleichen Sie das einmal mit der verfrühten Veröffentlichung der Quartalszahlen von Google am gestrigen Abend: Binnen Sekunden war die Aktie um 10% gefallen, nach wenigen Minuten hatte Google die Aussetzung des Kurses beantragt. Hier traf eine Meldung zu früh auf den Markt. Inhaltlich gehe ich weiter unten auf die Zahlen von Google ein. Hier möchte ich jedoch herausstellen, dass wir heute über Informationswege verfügen, die schneller sind, als wir reagieren können, schneller als uns lieb ist.

Womit wir beim wichtigsten Unterschied von heute zu damals sind: Dem High Frequency Trading (HFT). Heute verdienen Hedgefonds nicht dadurch ihr Geld, dass sie Unternehmen besser einschätzen können als die anderen, sondern einfach durch bessere Hard- und Software. Informationen werden nicht verarbeitet, fundamentale Informationen werden gar ignoriert. Schlüsse ziehen diese Systeme einzig aus den Kursbewegungen selbst und ermitteln daraus automatisch eine Strategie. Diese Strategie beinhaltet nicht selten auch das Einstellen von Kauf- und Verkauforders, die anderen Marktteilnehmern eine "Markttiefe" vortäuschen sollen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Denn wenn der Kurs sich in Richtung der Limits dieser automatisch erzeugten Orders bewegt, werden sie wieder storniert.

Dies geschieht in Bruchteilen einer Sekunde. Vor einigen Wochen habe ich bereits hier im Heibel-Ticker das HFT verurteilt und die Transaktionssteuer als eine mögliche Methode gelobt, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Leser haben mir anschließend noch weitere Vorschläge gemacht. Beispielsweise wäre eine Mindestgültigkeitsdauer für eine Order (bspw. 10 Sekunden) eine günstigere Variante, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Doch dies könnte man mit einer Reihe von aufeinander abgestimmten Orders umgehen. Ein anderer Vorschlag war die Bepreisung nicht ausgeführter Orders. Das wiederum hat sich im Wettbewerb der Broker nicht durchgesetzt und kann auch nicht regulativ vorgeschrieben werden.

Wie eine Lösung aussehen mag, ist also noch offen. Das Problem ist jedoch bereits spätestens seit dem Flashcrash im Mai 2010 bekannt. Seither ist es immer häufiger zu kleineren Zwischenfällen gekommen, in denen das vollautomatisierte Handelssystem der Nasdaq oder anderer Betreiber überfordert war.

Oder nehmen Sie das gestrige Beispiel mit den Google Quartalszahlen. Ich bin der Ansicht, dass wir auf den Informationsautobahnen über Geschwindigkeiten verfügen, die wir Menschen noch nicht beherrschen.

Derzeit gibt es eine Lethargie unter unseren Politikern, sich dieses Problems anzunehmen. Die Schuldenkrise ist wichtiger, und Lösungen sollten möglichst populistisch ausfallen, also möglichst die bösen Banken treffen. Kaum ein Politiker beschäftigt sich mit den Problemen an den Finanzmärkten, die es einer kleinen Gruppe hochgerüsteter Hedgefonds ermöglicht, technologische Vorteile gewinnbringend auszunutzen ... zu Lasten des Privatanlegers, der nicht über entsprechende Waffen verfügt.

Die Betreiber der Handelsplattformen werden diesem Treiben kein Ende setzen, weil gerade diese Hedgefonds deren beste Kunden sind. Politiker verstehen die Probleme in den seltesten Fällen, Daytrader fühlen sich mit ihrem Breitband-Internetzugang ebenbürtig und zocken gegen übermächtige Gegner. Und der Privatanleger schaut kopfschüttelnd den Kursbewegungen hinterher und beschließt, der Börse den Rücken zu kehren.

Wir haben ein KGV im S&P 500 von durchschnittlich 14. Wir sind also weit von einer Überhitzung entfernt und werden die Rallye noch weiter mitfahren. Der Crash, den ich dennoch erwarte, wird schneller vonstatten gehen als Sie reagieren können. Vielleicht ist schon am Abend der untertägige Kursverlust wieder nahezu ausgeglichen.

Wir Privatanleger müssen daher nur auf eines achten: Bitte keine automatischen Stopp Loss Orders im System hinterlegen. Richten Sie sich Benachrichtigungen ein, die Ihnen mitteilen, wenn Kurse über- oder unterschritten sind, und machen Sie sich dann ein Bild von der Situation bevor Sie handeln. Mit automatischen Stopp Loss Orders laufen Sie Gefahr in einem erneuten Flashcrash-Szenario Ihre Positionen zu einem extrem billigen Preis zu verkaufen, und am Abend sehen Sie dann wieder die alten Kurse.

Seit Jahren warne ich vor automatisch hinterlegten Stopp Loss Orders. In Einzelfällen wurden solche Orders "abgefischt", also durch kurze Kursschwankungen untertags ausgelöst und von einigen Spekulanten zum eigenen Vorteil genutzt.

Im Rahmen des sich ausbreitenden HFTs ist die Gefahr nun jedoch immer größer, und ich möchte daher meine Warnung hier nochmals intensivieren. Es können ganze Märkte davon betroffen sein. Und in meinen Augen ist es nicht eine Frage, ob es passiert, sondern wann.

Schauen wir einmal, wie sich die wichtigsten Indizes in der abgelaufenen Woche entwickelt haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (18.10.2012) | Woche Δ

Dow Jones: 13.554 | 1,7%
DAX: 7.437 | 2,1%
Nikkei: 9.003 | 5,5%
Euro/US-Dollar: 1,31 | 0,8%
Euro/Yen: 103,49 | 1,9%
10-Jahres-US-Anleihe: 1,83% | 0,16
Umlaufrendite Dt: 1,28% | 0,10
Feinunze Gold: $1.734 | -2,0%
Fass Brent Öl: $112,83 | -2,2%
Kupfer: 8.115 | -1,0%
Baltic Dry Shipping: 989 | 9,5%



Der Preisunterschied (Spread) zwischen dem amerikanischen Texas Öl (WTI) und dem europäischen Nordsee Öl (Brent) wird immer größer. Brent hält sich stabil über 112 USD/Fass während WTI bereits unter 90 USD/Fass gerutscht war. Ich habe zweierlei Gründe dafür ausgemacht.

Zum einen haben in den vergangenen Wochen die Spannungen in Syrien zugenommen. Die Angst vor weiteren Unruhen in der arabischen Liga ist wieder in die Aufmerksamkeit der Anleger gerückt worden. Dies geht einher mit Meldungen über geringe Ölreserven in der Nord- und Ostsee. Für uns Europäer sieht es also schlecht aus mit verlässlichen Öllieferungen.

In den USA hingegen wird derzeit gebohrt was das Zeug hält. Dank neuer Technologien werden die alten, stillgelegten Ölquellen erneut geöffnet und liefern nochmals ordentlich Öl. Zudem läuft der Abbau des Ölschiefers und Ölsands volle Pulle, sodass die USA derzeit wieder mehr Öl produzieren als lange zuvor. In der Karibik wird wieder gebohrt, wenn auch nunmehr mit strengeren Sicherheitsvorschriften. Und das Land erlebt einen Run auf Gasvorkommen, die im Land immer stärker eingesetzt werden und somit die Abhängigkeit vom Öl vermindern.

Gleichzeitig wurde in den USA seit vierzig Jahren keine neue Raffinerie mehr gebaut, es wurden jedoch jede Menge geschlossen. Die Kapazitäten zur Weiterverarbeitung des Öls sind also niedrig. So trifft eine steigende Menge qualitativ minderwertigen Öls auf eine nicht hinreichende Infrastruktur an Raffinerien. Es gibt ein Überangebot an Öl, nicht in Bezug auf den Verbrauch im Land sondern in Bezug auf die Raffinierkapazitäten.

Ein Strukturproblem, das Obama noch nicht adressiert hat. Der Ausbau der Kapazitäten für diese schmutzigen fossilen Brennstoffe widerstrebt dem Präsidenten, gleichzeitig kommen die erneuerbaren Energieträger nicht schnell genug nach. So importieren die USA mehr Öl denn je.

Die einzige Lösung ist der Ausbau der Raffinierkapazitäten, doch kündigen Sie das mal als Präsident wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen an. Es wäre Selbstmord für Obama.

Der japanische Nikkei mit +5,5%, der Frachtkostenindex Baltic Dry mit +9,5%? Während die Finanzintelligenzia noch Beweise für den Niedergang Chinas auflistet, sind die Erholungsanzeichen in den Preisen bereits deutlich zu erkennen.

SENTIMENTDATEN: PROFIS POSITIONIEREN SICH, PRIVATANLEGER SCHWANKEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
28.09.- 05.10. (226): 49% / 15%
05.10.- 12.10. (101): 45% / 9%
12.10.- 19.10. (304): 45% / 16%

Kaufempfehlungen der Analysten
BASF, Actelion Ltd., Rio Tinto Plc.

Verkaufsempfehlungen der Analysten
Nokia, Panalpina Welttransport, Dt. Bank

Privatanleger
40. KW: 57% Bullen (141 Stimmen)
41. KW: 52% Bullen (153 Stimmen)
42. KW: 58% Bullen (145 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Apple, Metro, Mondelez Intl.

Verkaufsempfehlungen der Privatanleger
Activision Blizzard, 3i Group


Allein die Anzahl der ausgeworfenen Analysen in dieser Woche zeigt, dass Analysten sich für's Jahresende positionieren. Dabei bleibt ihr Optimismus verhalten, allerdings werden einige Unternehmen abgestuft, nachdem sie schlechte Quartalsberichte vorgelegt haben.

Dies ist symptomatisch für die bisherige Berichtssaison, in der die meisten Quartalsergebnisse im Rahmen der Erwartungen ausfielen und CEOs meist mit vorsichtigen Prognosen an die Öffentlichkeit gingen. Es ist jedoch gesund, dass die Unternehmen, die enttäuschen, abgestraft werden. Es zeigt, dass die Finanzmärkte in diesem Punkt funktionieren.

BASF und Rio Tinto sind Empfehlungen der Analysten die darauf hindeuten, dass zyklische, konjunktursensible Werte empfohlen werden. Analysten trauen sich also wieder. Im Gegenzug werden Aktien von Unternehmen abgestuft, die mit Hiobsbotschaften an die Öffentlichkeit gingen oder zu denen es Hiobsbotschaften aus der Politik gab.

Privatanleger hingegen sind hin und her gerissen. Schon seit einigen Wochen ist zu beobachten, dass die Stimmung ziemlich schnell umschlägt. Es spricht für die fehlende Richtung im DAX.

Mondelez ist der von Kraft Foods abgespaltene Geschäftsbereich mit dem Knabbergebäck (Snacks). Dieser Unternehmensteil verfügt über eine wesentlich bessere Position in den Schwellenmärkten als seine Konzernmutter und weist die höheren Wachstumsraten aus. Auch Metro und Apple sind Unternehmen mit Konsumartikeln, hier haben sich die Privatanlegern also klar für eine stabile Nachfrage der Konsumenten entschieden.

TOP ANALYSTENZIELE

Sie wollen wissen, was die Analysten im Einzelnen für Aussagen treffen und wo sie die größten Chancen sehen? Ich habe für Sie ab sofort jede Woche eine Übersicht der Analysen mit den höchsten Kurszielen ausgearbeitet. Die Liste zeigt ganz einfach an, wo das aktuelle Kursziel des Analysten prozentual am meisten über dem aktuellen Kurs liegt:

Unternehmen | Analyse v. | Kurs | Kursziel | Upside

Delticom | 18.10 | 41,66 € | 68,00 € | 63,23%
SAF Holland | 19.10 | 5,07 € | 7,40 € | 45,96%
Mitteldt. Fahrrad | 19.10 | 7,08 € | 9,60 € | 35,59%
Tom Tailor | 18.10 | 16,76 € | 22,00 € | 31,26%
QSC AG | 19.10 | 2,15 € | 2,80 € | 30,23%
Volkswagen VZ | 18.10 | 150,07 € | 195,00 € | 29,94%
Uzin Utz AG | 19.10 | 19,48 € | 25,00 € | 28,34%
BMW | 18.10 | 62,50 € | 80,00 € | 28,00%
Adva AG | 19.10 | 5,16 € | 6,50 € | 25,97%
Wincor Nixdorf | 18.10 34,27 € | 42,50 € | 24,02%



Es handelt sich um Analysen aus dieser Woche. Bitte genießen Sie diese Übersicht mit Vorsicht. Sie wissen ja, dass häufig auch ein Eigeninteresse des Analysten für eine rosa Brille sorgen kann, weshalb Analysteneinschätzungen tendenziell optimistischer ausfallen als es die Realität anschließend erlauben würde. Aber die Übersicht gibt einen Eindruck darüber, wo die Erwartungen mit dem aktuellen Kurs am weitesten auseinander liegen. Wer letztlich Recht haben wird, der Analyst oder die Anleger, die den Kurs machen, ist in jedem Einzelfall individuell zu beurteilen.

Die Ausreißer bei den Analystenempfehlungen kommen in dieser Woche überwiegend aus der Automobilbranche mit Online-Reifenvertrieb Delticom, Anhängeranbieter SAF Holland, VW und BMW. Ich kann diesen Optimismus nachvollziehen, habe aber einen anderen Titel in unserer Empfehlungsliste. Mitten drin tummeln sich noch die Mitteldeutschen Fahrradwerke Mifa, deren Bewertungsniveau ich jedoch bereits für ausgereizt halte.

QSC, Adva und Wincor Nixdorf werden aufgrund von Sondersituationen empfohlen, ich würde da keinen Markttrend draus machen. Im Gegenteil, nach einer Herbstrallye im Tech-Sektor dürfte es ein böses Erwachen geben. Grund genug für mich, in anderen Bereichen nach aussichtsreichen Aktien zu suchen.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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