Alt 22.10.11, 22:03
Standard So tickt die Börse: Banklizenz oder Teilkasko? Pest oder Cholera?
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Eine Banklizenz für den EFSF, wie von den Franzosen gefordert, ist absoluter Quatsch und wird niemals umgesetzt – egal wie viel in den Medien darüber zu lesen ist. Ich habe den Eindruck, dass mit dieser unsinnigen Forderung der Weg frei gemacht werden soll für das vermeintlich kleinere Übel, die Teilkasko-Lösung von Finanzminister Schäuble. Doch auch die halte ich für gefährlich.

Die Teilkasko-Lösung würde beispielsweise die ersten 20% eines Schuldenschnitts an die Gläubiger (also die Anleiheneigner) überweisen. Der EFSF müsste also nicht für bis zu 100% Zahlungsausfall gerade stehen, sondern nur bis zu 20%. Auf dem Rest des Zahlungsausfalls bleiben die Gläubiger sitzen.

Der Vorteil laut Schäuble wäre, dass die 440 Mrd. Euro EFSF-Mittel für europäische Anleihen im Volumen von bis zu dem Fünffachen (20% mal fünf sind 100%) verwendet werden könnten, also bis zu 2,2 Mrd. Euro. Ein weiterer Vorteil wäre, dass die Staatsanleihen nicht aufgekauft werden müssen, sondern weiterhin über den Finanzmarkt gehandelt würden. Oder?

Da sich noch kein einziges Finanzblatt mit dieser Alternative inhaltlich auseinander setzt, sondern lediglich die Banklizenz-Lösung zerrissen wird, muss ich mir meine eigenen Gedanken machen (okay, dafür zahlen Sie mich ;-). Mir missfallen zwei Dinge:

Zum einen muss der EFSF Mittel für eventuelle Zahlungsausfälle vorhalten und diese Mittel überweisen, für die er keine Verzinsung erhält. Wenn also Anleihen von Griechenland ausgegeben werden, die im Extremfall mit 20% verzinst werden, für die jedoch ein Schuldenschnitt von 30% zu erwarten ist, dann streichen die Gläubiger die 20% Zinsen ein, erhalten 20% Teilkasko-Leistung aus dem EFSF und müssen 10% abschreiben. Unterm Strich ein lukratives Geschäft, wenn Sie sich dagegen die magere Verzinsung der Bundesanleihen anschauen.

Das andere Problem sehe ich wieder einmal bei der fehlenden Disziplinierung der EU-Staaten: Wenn die ersten 20% eines eventuellen Zahlungsausfalls durch den EFSF übernommen werden, dann brauchen die Club Med Länder nicht zu fürchten, in der Gunst der Anleger schlechter dazustehen, solange man nicht einen Schuldenschnitt von über 20% riskiert. Schuldenschnitte von 20% werden zur Regel.

Nein, nein, wird nun Schäuble erwidern, die 20% Auszahlung sind ja an harte Bedingungen geknüpft. Doch Ihr Autor weiß nicht, wie das gehen soll: Dem Gläubiger wird eine Teilkasko versprochen, die in jedem Fall die ersten 20% ausgleicht und nach Auszahlung an den Gläubiger will man den Schuldner, also gegebenenfalls ein Club Med Land, zu harten Einschnitten zwingen, denn sonst ... ja, was sonst eigentlich? Sowohl das Druckmittel der Finanzmärkte als auch der Zurückhaltung von Finanzhilfen durch die EU ist bei der Teilkasko-Lösung aus der Hand gegeben.

Ich komme also zu dem Schluss, dass es derzeit noch kein glaubwürdiges Konzept für eine sinnvolle Hebelung der EFSF-Mittel gibt. Was ich bislang gesehen habe ist alles Quatsch.

Während sich also Sarkozy und Merkel gegenseitig das Leben schwer machen (oder ist es tatsächlich nur ein Ablenkungsmanöver um die unsinnige Teilkasko-Lösung unbemerkt durchzuboxen?), zeigt Berlusconi einfach mal, was er von europäischen Vereinbarungen hält: Nichts.

Die Bedingung, die an die Berufung Draghis an die EZB-Spitze geknüpft wurde, nämlich die Berufung des anderen EZB-Mitglieds Lorenzo Bini Smaghi an die Spitze der italienischen Notenbank, damit sein freiwerdender EZB-Sessel sodann von den Franzosen besetzt werden kann und ein europäisches Ämtergleichgewicht in der EZB-Spitze gegeben ist, wurde von Berlusconi heute einfach übergangen. Unter den 6 EZB-Chefs sollen die vier Länder Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien nämlich stets vertreten sein.

Nun, der Franzose Trichet tritt ab, Draghi wird ihm folgen und statt Smaghi nach Italien zurückzuholen hat Berlusconi heute überraschend nun Ignazio Visco zum neuen Notenbankchef ernannt, einen linientreuen Berlusconi-Anhänger statt dem kritisch denkenden Smaghi. 17 Länder, 17 Meinungen titelte ich kürzlich im Heibel-Ticker. Es bleibt dabei.

Bei unseren 10 Punkten der Checkliste gab es demzufolge eher Rückschritte:

10-PUNKTE CHECKLISTE:
1. Panik: hmmm
2. Ferienende: ja, keine Änderung
3. Rekapitalisierung: Rückschritt: Banken wehren sich, Deutschland und Frankreich uneins über Vorgehensweise
4. Finanzmarktregulierung: unverändert international keine Übereinstimmung.
5. Schuldenproblem: Griechenlandumschuldung vielleicht dieses Wochenende? Maastrichtkriterien und Schuldenbremse sind EU-weit gewünscht, die Umsetzung jedoch wirft Widersprüche auf
6. Goldpreiseinbruch: unverändert
7. Ölpreiseinbruch: nein, lässt noch immer auf sich warten
8. China lockert die Zügel: nein
9. Dow Jones Einbruch: Hmmm, etwas...
10. Wachstumstitel führen den DAX an: Ja

„Eine Kultur“ hieß es, als man das vereinte Europa schmiedete. Davon ist in diesen Tagen nichts mehr zu sehen. Während es über die Probleme weitgehend Übereinstimmung gibt, herrscht bei der Ursachenforschung und in Folge dessen also auch bei der Auswahl der geeigneten Gegenmittel völliges Chaos. Entsprechend hat sich der DAX von seinen Schwestern in Japan und den USA abgesetzt – leider nach hinten.

Schauen wir einmal, was die Indizes in dieser Woche gemacht haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (29.09.2011) | DIFF

Dow Jones: 11.542 | 0,6%
DAX: 5.766 | -2,5%
Nikkei: 8.679 | -0,8%
Euro/US-Dollar: 1,374 | -0,4%
Euro/Yen: 105,4 | -0,9%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,18% | 0,0
Umlaufrendite Dt: 1,84% | -0,1
Feinunze Gold USD: $1.626,85 | -3,0%
Fass Brent Öl USD: $109,87 | -2,6%
Kupfer in US$/to: 6.931 | -7,5%
Baltic Dry Shipping I: 2.161 | 0,3%



Minus 2,5% hat der DAX in dieser Woche erzielt während der Nikkei nur um 0,8% fiel und der Dow Jones sogar mit 0,6% im Plus notiert.

Der Euro hat gegenüber dem US-Dollar (-0,4%) als auch gegenüber dem japanischen Yen (-0,9%) nachgegeben, und Staatsanleihen sind wieder gefragt, die Umlaufrendite stieg um 0,1 Punkte. Wenn es sich bei der Uneinigkeit zwischen Sarkozy und Merkel also um ein Ablenkungsmanöver handeln sollte, dann um ein sehr teures.

Schauen wir einmal, was die Stimmung unter den Anlegern macht:

SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
30.09.- 07.10. (556): 55% / 10%
diese Woche nicht verfügbar
14.10.- 21.10. (1.374): 53% / 10%

Kaufempfehlungen der Analysten
SAP, Apple, Infineon

Verkaufsempfehlungen der Analysten
Teliasonera, Air France-KLM, Q-Cells

Privatanleger
40. KW: 55% Bullen (184 Stimmen)
41. KW: 49% Bullen (241 Stimmen)
42. KW: 58% Bullen (189 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Alcatel-Lucent, BNP Paribas, ADX Energy

Verkaufsempfehlungen der Privatanleger
Bureau Veritas, Solar Millennium, Soitec


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel

Während die Analysten in ihrer Einschätzung recht stabil bleiben, ich würde das Niveau als ziemlich neutral bezeichnen, ist die Zuversicht unter den Privatanlegern stark angestiegen: 58% Bullen nach 49% in der Vorwoche. Vielleicht ist darin noch immer die Erleichterung darüber zu sehen, dass ein Lehman II hier in Europa vom Tisch ist. Zumindest darin sind sich Sarkozy und Merkel einig.

Und wenn ich mir den Kurssprung von heute Nachmittag anschaue, aktuell notiert der DAX mit 3,5% im Plus, dann kann ich keine EU-spezifischen Gründe dafür finden: Sei es die Zurechtweisung Merkels und Sarkozys durch Juncker oder sei es der Wutausbruch Seehofers über die Steuererleichterungen, ich kann darin keinen Grund für ein Kursplus von 3,5% sehen. Einzig das Ende von Gaddafi könnte so eine Rallye auslösen. Wir dürfen schon bald eine Aussage aus den USA erwarten, die etwa folgenden Inhalt haben wird: Die Welt ohne Gaddafi ist eine bessere Welt...
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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