Alt 16.04.11, 16:59
Standard So tickt die Börse: Rundumschlag
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Wenn ich mir die Ereignisse dieser Woche, die ich stichpunktartig zu Papier gebracht habe, anschaue, dann weiß ich noch nicht, wie ich all das hier in einem Kapitel kurz darstellen soll, ohne den roten Faden zu verlieren. Na, ich versuch’s mal:

Kleinste Meldungen haben zu heftigen Kursausschlägen in die eine oder andere Richtung geführt. Ein Zeichen dafür, dass die Stimmung unter den Anlegern angespannt ist. Der DAX steht wieder deutlich über 7.000 Punkte, obwohl in Japan bis dato vom Wiederaufbau keine Rede ist, im Gegenteil: Das Land befindet sich noch immer inmitten der Katastrophe und kämpft täglich gegen den atomaren Gau. Verständlich, dass einige Anleger die Erholung an den Börsen als verfrüht betrachten.

Heute ist großer Optionsverfalltag, eine Vielzahl von Aktien-, Rohstoff- und Finanzoptionen sind heute fällig. In den Tagen vor einem solchen Fälligkeitstag neigen die Börsen zu besonders heftigen Ausschlägen. Erfahrungsgemäß gibt es Dienstag bis Donnerstag jeweils einen besonders heftigen Kursgewinn und einen besonders heftigen Kursverlust. Diese Woche hatten wir Dienstag den besonders großen Kursverlust und Mittwoch den besonders großen Kursgewinn.

Diese heftigen Kursausschläge werden von institutionellen Anlegern begrüßt (wenn nicht gar erzeugt, wie immer wieder behauptet wird), denn sie können an dem einen Tag ihre Shortpositionen günstig auflösen und am anderen ihre Longspekulationen bestens versilbern. Es fehlt meist nur ein Auslöser für die eine oder andere Kursbewegung.

Der DAX war seit der Katastrophe in Japan von 6.513 auf 7.238 Punkte geschnellt. Ein Plus von 11% in nur vier Wochen. Ängste über Produktionsausfälle in Japan und daraus folgende Lieferengpässe weltweit wurden von den Wiederaufbauphantasien aufgewogen, und da war es fast unmöglich für den ehemaligen Siemens-Chef Klaus Kleinfeld, mit seinem neuen Arbeitsgeber Alcoa, dem größten US-Aluminiumhersteller, die hochgeschnellten Erwartungen der Anleger zu übertreffen.

Alcoa hat vor einem Jahr überragende Ergebnisse geliefert. Der Konzern war jahrelang niedergewirtschaftet worden und Klaus Kleinfeld hat in seiner ersten Phase erst einmal Ordnung geschaffen. Der Gewinnsprung in Folge dieser Aktivitäten war exorbitant.

Nun erfreut sich Alcoa über weltweit anziehende Aluminiumpreise, über eine große Nachfrage und wirtschaftet mit einer günstigen Kostenstruktur. Super, würde ich sagen. Doch nach den exorbitanten Anfangsgewinnen muss sich der Aktionär nun auf „normales“ oder von mir aus auch „großes“ Wachstum einstellen. Exorbitante Steigerungen sind nach den erfolgreichen Aufräumarbeiten nun nicht mehr möglich.

Doch genau das wurde von Anlegern erhofft, und so wurde das in meinen Augen gute Ergebnis von Alcoa vor dem Hintergrund der in den Himmel gewachsenen Erwartungen negativ aufgenommen.

Der Ausverkauf der Alcoa-Aktien wurde sodann natürlich als Indikator dafür gesehen, dass der Aluminium-Markt schwach sei, ja dass alle Rohstoffmärkte schwach seien. Verstärkt wurde diese (m. M. n. falsche) Betrachtungsweise durch eine Studie über den Ölpreis von Goldman Sachs.

Goldman Sachs ist ein Investmentbroker, der für seine Kunden Geld „macht“. Achten Sie einmal darauf: Im Englischen heißt es „to make money“, nicht „to earn money“ (Geld machen, nicht Geld verdienen), wenn es um Broker geht. Und um Geld zu machen, stehen dem Broker eine Vielzahl von Instrumenten zur Verfügung. Ein Instrument sind beispielsweise Studien und Analysen, die veröffentlicht werden.

2008, als der Ölpreis über 100 USD/Fass sprang, erhöhte Goldman Sachs beispielsweise sein Kursziel für das Öl auf 200 USD/Fass. Goldman Sachs hatte, wie wir heute wissen, voll auf den ansteigenden Ölpreis gesetzt und profitierte königlich von der Rallye. Der Ölpreis gipfelte schließlich bei 147 USD/Fass.

Unter anderem auch aufgrund der Studie von Goldman Sachs setzte sich die Meinung durch, dass der Ölpreisanstieg real sei, also von einer realen Nachfrage initiiert. Nicht Spekulanten trieben den Ölpreis in die Höhe, sondern eine boomende Weltwirtschaft. Und Anfang 2008 sah auch noch vieles danach aus.

So stellten sich Länder wie Saudi Arabien darauf ein, diese erhöhte Nachfrage zu befriedigen: Die täglichen Förderkapazitäten wurden vollständig genutzt, es wurde in den Ausbau der Förderkapazitäten investiert.

Im Anschluss an die Rallye auf 147 USD fiel der Ölpreis binnen weniger Monate auf 36 USD/Fass. Es stellte sich heraus, dass der Ölpreis eben doch durch Spekulanten getrieben war. Zu dem hohen Ölpreis der Finanzmärkte gab es kaum eine passende Nachfrage in der Industrie. Dennoch wurden nun die Märkte mit den neu geschaffenen Förderkapazitäten überschwemmt, und so brach der Ölpreis um so heftiger ein.

Das war 2008. Diese Woche hat Goldman Sachs nun in der Studie behauptet, der Ölpreisanstieg sei nur durch Spekulanten getrieben, es stünde dem hohen internationalen Ölpreis gar keine gleichgewichtige Nachfrage der Industrie gegenüber. Und tatsächlich hat auch Saudi Arabien diesmal bereits angekündigt, trotz des explodierenden Ölpreises die tägliche Fördermenge nicht auszuweiten. Im Gegenteil, Saudi Arabien hat zwar mehrfach betont, jegliche Nachfrage befriedigen zu können, doch vorerst sei ein Nachfragerückgang zu verzeichnen, und man habe die tägliche Förderung zurückgefahren.

Der Ölpreis ist über 110 USD/Fass geschossen und Saudi Arabien spricht von einem Nachfragerückgang. Das Öl wird also noch knapper!

Was sollen wir nun heute glauben? Ich kenne leider die Tradingbücher von Goldman Sachs nicht.

Ich bin in den vergangenen Wochen mehrfach auf die Ölpreisgrenze bei 110 USD/Fass eingegangen. Vielleicht war die Studie von Goldman Sachs vorerst nur einmal eine geeignete Maßnahme, um einen zu schnellen weiteren Anstieg zu vermeiden. Eine Verschnaufpause.

Sicher ist jedoch, dass bei 110 USD/Fass ein Niveau erreicht wurde, bei dem sich Unternehmen Gedanken über eine effizientere Nutzung des Öls machen. Investitionen werden zurückgestellt, ein zu hoher Ölpreis wirkt wie eine Sondersteuer auf die Wirtschaft.

Nun, so tief schaut kaum ein Börsianer hinter den Börsenvorhang. Wahrgenommen wurde lediglich die Aussage von Goldman Sachs, der Ölpreis werde fallen, und so tat er es denn auch. Gepaart mit dem schlecht aufgenommenen Quartalsergebnis von Alcoa konnten Sie auf dem Börsenparkett am Dienstag nun folgende Argumentation hören: Das Alcoa-Ergebnis ist Beleg dafür, dass es der Wirtschaft nicht so gut geht wie gedacht und der fallende Ölpreis ist der Beweis dafür, dass diese Beobachtung richtig ist.

So folgte am Dienstag ein breiter Ausverkauf.

Am Folgetag war dann, wie so häufig in der Optionsverfallswoche, die Gegenbewegung zu beobachten. Die Kursverluste des Vortags wurden ausgeglichen. Nicht andere Aktien als die, die am Vortag gefallen waren, stiegen am Mittwoch an. Defensive Titel waren gefragt. Pharma (Fresenius, Bayer, Merck) und Versicherungen (Münchener Rück, Allianz) führen die Liste der Wochengewinner im DAX an. Die Verunsicherung war gelungen, Anleger richten sich auf harte Zeiten ein.

Kein Wunder. Ist doch die Erinnerung an 2008 noch frisch, als der einbrechende Ölpreis den Beginn der Weltwirtschaftskrise einläutete. So waren in den vergangenen Wochen immer wieder Stimmen zu hören, die den hohen Ölpreis auch diesmal wieder als Gefahr für die Weltwirtschaft sehen. Und wenn Sie sich an die Börsenentwicklung von 2008 erinnern, dann werden Sie vor allem eines im Gedächtnis behalten haben: Wer zuerst verkauft hat, der stand am Ende am besten da.

Dieses Verhaltensmuster konnte ich nun auch dieses mal wieder beobachten: Das Ende des Ölpreisanstiegs wurde verkündet. Die ersten Quartalsberichte konnten die überzogenen Erwartungen nicht mehr übertreffen. Und sofort haben sich Hedgefonds und spekulative Anleger von all ihren Zockerpositionen getrennt und das Geld in vermeintlich sichere Häfen gelenkt...

...wenn es doch nur so einfach wäre an der Börse.

Nein, ich glaube nicht, dass wir auf die nächste Weltwirtschaftskrise zulaufen. Es gibt eine Vielzahl an Problemen. Es gibt mehr oder weniger vielversprechende Ansätze, diese Probleme zu lösen. Die Zeit drängt und gleichzeitig ist eine Einigung verschiedener Interessengruppen immer schwerer möglich, so dass einen schon mal der Mut verlassen kann. Doch vergleichbar mit 2008 ist das noch lange nicht, denn damals war man sich keinerlei Probleme bewusst.

Nun, der Rest der Woche kann nun kurz zusammengefasst werden: J.P. Morgan hat ein herausragendes Quartalsergebnis abgeliefert, doch eben nicht die überzogenen Erwartungen übertroffen. Gleichzeitig wurde die Finanzbranche wieder einmal durch den US-Senat gescholten, unmoralisch und skrupellos zu agieren. Auch ein Foto unserer Deutschen Bank war auf die Zielscheibe gepinnt.

Zwei Jahre lang hat der Senat die Vorgänge der Finanzkrise analysiert und kommt nun zu dem Schluss, dass Profitgier für das eigene Unternehmen systematisch über die gute Beratung des Kunden gestellt wurde. Insbesondere bei Goldman Sachs wurde dieser Vorwurf so hart formuliert. Bei der Deutschen Bank standen den Profiten aus diesem Treiben jedoch auch ein paar Verluste (zugunsten der Kunden) gegenüber, so dass die Deutsche Bank sich mit „unterschiedlichen Meinungen unterschiedlicher, durch chinesische Mauern getrennter, Abteilungen“ aus dem Kreuzfeuer wird retten können. Dennoch blieb für die Deutsche Bank unterm Strich noch 1,5 Mrd. USD Gewinn übrig – zu Lasten der eigenen Kunden (die bessere Abteilung hat sich eben durchgesetzt).

Natürlich wird nun verstärkt auf die Überlebenden geschossen, denn Lehman Brothers, Countrywide Financial, Bear Sterns, Merrill Lynch, Washinton Mutial, Fannie Mae und Freddie Mac, die Initiatoren des Immobilienkarussells, gibt es nicht mehr. Und so wird die aufgestaute Wut gegen die Finanzbranche nun gegen diejenigen gerichtet, die in den verrückten Zeiten das Beste draus gemacht haben und überlebten...

...das Beste für ihr Unternehmen, leider nicht für die Kunden.

In den USA könnte ich mir gut vorstellen, dass die Finanzbranche bald einen ähnlich schlechten Ruf haben wird wie die Tabakindustrie. Es gibt wohl niemanden mehr, der irgendwelche moralisch positiven Aspekte für die Tabakindustrie formuliert. Und so kann diese heute nach Belieben besteuert
werden: Jeder stimmt Steuererhöhungen auf Tabak zu, doch die Politik achtet sorgsam darauf, dass die Steuer nicht zu hoch wird und das Rauchen am Ende unerschwinglich wird – das wäre ein Wegfall von Steuereinnahmen, der nicht gewünscht ist.

Wenn die Finanzbranche erst einmal sturmreif geschossen ist, dann wird die Politik auch dort an jeder beliebigen Stelle Steuern einsetzen und erhöhen können. Und wenn ich ehrlich sein soll, ich finde diese Vorstellung sympathisch.

Banken und Broker sind Dreh und Angelpunkt für die Wirtschaft wie die Börse für Anleger. Sie müssen ihren Betrieb finanzieren können und sollen auch ein ordentliches Gehalt nach Hause tragen. Doch warum die Finanzbranche exorbitante Gewinne erzielen sollte, ist mir nicht verständlich. Als Intermediär kann man sich ein Scheibchen abschneiden, nicht aber zu Lasten der Kunden die eigenen Gewinne maximieren.

So „gemein“ sind also die Banker. Und doch sind es gerade die Banker, die den Politikern ihre ausufernden Versprechen finanzieren. US-Präsident Obama hat seinen Haushaltsplan am vergangenen Freitag in letzter Sekunde noch durchgeboxt und spricht nun von verstärkten Sparanstrengungen, damit sein Land die Schulden wieder in den Griff bekommt. Wer kauft eigentlich all die Schulden?

„Zufällig“ hat China zeitgleich bekanntgegeben, dass die Währungsreserven des Landes erstmals über 3 Billionen US-Dollar gestiegen seien. Aha, hier ist der Käufer der US-Schulden. Das Wirtschaftswachstum, das in den vergangenen Monaten mehrfach durch Zinserhöhungen und begleitende Maßnahmen gebremst wurde, betrug im ersten Quartal „nur noch“ 9,7%. Diese Meldung dürfte die Weltuntergangspropheten erst einmal ihrer Argumente berauben. Die Chinesen haben, wie von mir frühzeitig aufgezeigt, eine perfekte weiche Landung ihrer überhitzten Immobilienwirtschaft vollzogen.

Bleibt Google: Das Unternehmen hat gestern Abend seine Quartalszahlen bekanntgegeben. Der Kurs ist heute früh um 5% eingebrochen. Es gibt ein anderes Unternehmen, das Google das Wasser abgräbt.

Schauen wir uns also einmal die Wochenperformance der wichtigsten Indizes an:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (14.04.2011)

Dow Jones: 12.285 | -1,0%
DAX: 7.146 | -0,5%
Nikkei: 9.591 | -1,8%
Euro/US-Dollar: 1,447 | 0,4%
Euro/Yen: 120,296 | -2,1%
10-Jahres-US-Anleihe: 3,49% | -0,1
Umlaufrendite Dt: 3,22% | 0,1
Feinunze Gold USD: $1.475,79 | 0,5%
Fass Crude Öl USD: $108,54 | -2,7%
Kupfer in US$/to: 9.362 | -5,0%
Baltic Dry Shipping I: 1.309 | -6,6%



Ölpreis und Kupferpreis sind eingebrochen. Ob aus psychologischen Gründen oder aufgrund einer geringeren wirtschaftlichen Nachfrage werden wir wohl erst in den nächsten Wochen erfahren. Doch sicher ist eines: Der hohe Ölpreis fordert seinen Tribut und vor diesem Hintergrund kann ich den fallenden Kupferpreis nachvollziehen. Mal sehen, wie nachhaltig diese Entwicklung ist.

Doch es ist grausig: Fällt der Ölpreis weiter, dann dürfte der Markt dies als Beweis interpretieren, dass die Weltwirtschaft zu schwächeln beginnt. Steigt der Ölpreis hingegen wieder über 110 USD/Fass an, so dürfte dies tatsächlich zu einem rückläufigen Investitionsverhalten führen. Keine schöne Situation, in der wir uns befinden. Wie wir uns aus dieser Misere befreien können, habe ich ebenfalls im folgenden Kapitel beschrieben.

Mal sehen, wie die Marktteilnehmer sich derzeit fühlen:

SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
25.03.- 01.04. (278): 61% / 10%
01.04.- 08.04. (256): 52% / 8%
08.04.- 15.04. (260): 58% / 10%

Kaufempfehlungen der Analysten
ASML, Hochtief, Philips Electronics

Verkaufempfehlungen der Analysten
Flughafen Wien, Jack in the Box, Nokia

Privatanleger
13. KW: 68% Bullen (165 Stimmen)
14. KW: 59% Bullen (201 Stimmen)
15. KW: 65% Bullen (243 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Commerzbank, Électricité de France, Porsche

Verkaufempfehlungen der Privatanleger
Tepco


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel


Steigende Zuversicht, würde ich sagen. Sowohl Analysten als auch Privatanleger erwarten eher steigende Kurse. Bei den Analysten kann ich dies so erklären, dass in den Ausverkauf dieser Tage hinein viele nicht-zyklische Titel aufgewertet wurden. Mit Heraufstufungen tun sich Analysten erfahrungsgemäß leichter.

Privatanleger könnten, fürchte ich, in den nächsten Wochen auf dem falschen Fuß erwischt werden.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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