Alt 12.03.11, 19:43
Standard So tickt die Börse: Trübe Stimmung und schlechte Meldungen führen zu Panik
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So schnell kann’s gehen: Binnen weniger Tage gibt es kaum noch einen konjunktursensiblen Sektor, der positive Meldungen hervorbringt. Panik macht sich breit, diese Woche wurde die 30-jährige Staatsanleihe der USA so stark überzeichnet wie seit elf Jahren nicht mehr. Anleger flüchten in die sicheren Häfen.

Hatte ich vor wenigen Tagen noch einen Ölpreisrückgang herbeigesehnt, um die Wirtschaft zu entlasten, so wurde der Ölpreiseinbruch um 3 USD/Fass Mitte der Woche in Folge des chinesischen Außenhandelsdefizits als Zeichen gesehen, dass die Wirtschaft sich das Öl nicht mehr leisten kann.

Sie müssen sich die verdrehte Wahrnehmung einmal vor Augen führen: Vor wenigen Tagen noch wurden Studien veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass es reichlich Ölförderkapazitäten gibt, um auch sich weiter ausweitende Unruhen in der arabischen Liga abzufangen. Ein Preisrückgang wäre in dieser Situation begrüßt worden, es hätte als Beruhigung der Märkte gegolten.

Doch dann meldet China erstmalig ein Handelsbilanzdefizit. Das Land, das uns den Titel Exportweltmeister streitig machen will, importiert plötzlich zu weit höheren Kosten Rohstoffe, als Fertigprodukte exportiert werden.

Umgehend kommen Zweifel auf, wie gesund das Wirtschaftswachstum Chinas wirklich ist. Schlimmer noch, die Kritiken von vor wenigen Wochen werden wieder aus der Schublade gezogen, aus denen hervorging, dass bereits der Handelsüberschuss eine Augenwischerei ist.

Denn während beispielsweise die einzelnen Komponenten für ein iPad auf rund 150 USD summiert werden, die nach China geschifft werden, wird das Gerät dort für 20 USD zusammengeschraubt und ist sodann plötzlich 500 USD Wert – zumindest in der Exportstatistik. Und das, obwohl die intellektuelle Arbeit dazu in den USA stattgefunden hat.

Nun, die Rufe nach einer Aufwertung der chinesischen Währung werden nun wohl verstummen.

Vielmehr kommen nun Zweifel auf, ob China wirklich die Kraft hat, die Weltkonjunktur am Laufen zu halten. Und so ist nun der Ölpreisrückgang um 3 USD/Fass auf 102 USD/Fass ein Warnzeichen dafür, dass die Weltwirtschaft strauchelt.

Ich hatte diese Reaktion erst bei einem Ölpreis über 110 USD/Fass erwartet, wie ich Anfang der Woche schrieb. Doch wie so häufig kommt es anders als man denkt.

Auch aus Libyen sind die Meldungen nicht gerade aufmunternd. Die Gaddafi-Truppen gewinnen Stadt für Stadt zurück. Mitte der Woche schlug die Meldung von brennenden Ölraffinerien in Libyen ein, eine Bombe war dort eingeschlagen. Und in diese verunsicherte Situation der Aufständischen hinein verkündet der CIA-Chef der USA, dass die chaotisch organisierten Aufständischen gegen das organisierte und gut ausgerüstete Militär Gaddafis keine Chance haben.

Heute ist der „Tag des Zorns“ in Saudi Arabien, dem Land, dass eventuelle Ölförderausfälle auffangen will. Wenn es in Saudi Arabien eine Gegenbewegung zur herrschenden Saud-Dynastie gibt, dann wird diese sich heute organisieren. Bereits gestern Abend seien erste Versammlungen übermäßig gewaltvoll seitens der Polizei beendet worden. Insbesondere die Schiitische Minderheit versucht Ankündigungen zufolge auch in Saudi Arabien einen Wechsel von der absolutistischen zu einer konstitutionellen Monarchie herbeizuführen.

Sie dürfen heute im Tagesverlauf eine minutiöse Berichterstattung von CNN über den engen Partner der USA innerhalb der arabischen Liga erwarten.

Hilfe seitens der USA oder Europas können die Aufständischen dennoch kaum erwarten. Obama hat neben Afghanistan und Irak keine Lust auf einen dritten Einsatz seiner Armee. Und in Europa zerfleischen sich Frankreichs Sarkozy und unsere Merkel mit widersprüchlichen Strategien. Die heutige Tagung der EU-Außenminister mit dem Ziel, eine gemeinsame Haltung in der Libyen-Krise zu finden, wird von gegenläufigen Positionsbestimmungen dominiert, eine Einigung ist da kaum vorstellbar.

Während das Chaos in Saudi Arabien bereits seit Wochen angekündigt ist und seitens Polizei und Regierung bereits entsprechende Gegenmaßnahmen geplant und eingeleitet sind, sowie seitens Obama eine entsprechende Unterstützungserklärung für die Saud-Dynastie gestern veröffentlicht wurde, trat ein meteorologisches Drama völlig unerwartet auf.

In Japan gab es heute früh um viertel vor sieben ein Erdbeben der Stärke 8,8. Das stärkste Beben des Erbebenlandes Japan seit 140 Jahren. Es folgte eine Flutwelle von 10 Meter Höhe und vor wenigen Minuten rief Japan Atomalarm aus, weil viele der Atomkraftwerke des Landes in den betroffenen Küstenregionen stehen. Bislang sei noch kein Leck bekannt, sagte Premierminister Naoto Kan, aber er wolle gegebenenfalls schnelles Handeln ermöglichen.

Hinsichtlich der menschlichen Schicksale werden wir wohl in den nächsten Tagen erst das Ausmaß der Katastrophe erfahren. Doch der wirtschaftliche Schaden wird umgehend von den internationalen Börsen beziffert, und so brach der Nikkei in den letzten 15 Handelsminuten um 1,7% ein, bevor Japans Börse schloss.

Nun wurde für die gesamte Pazifikregion eine Flutwellenwarnung ausgegeben.

Diese Nachrichtenlage ist an Negativität kaum zu übertreffen und so notiert der DAX zusätzlich zu seinem Wochenverlust von 2,3% heute nochmals 1% im Minus. Die 7.000 Punkte wurden unterschritten. Das ist ein Niveau, zu dem meines Erachtens früher oder später Schnäppchenjäger auf der Bildfläche erscheinen werden. Man schaut sich an, was noch passieren müsste, damit wir am Montag nochmals tiefer rutschen. Und da fällt mir nicht mehr viel ein, außer dass Saudi Arabien außer Kontrolle geraten könnte – was ich nicht erwarte.

Zusätzlich zu diesen politischen und meteorologischen Problemen haben auch Unternehmen diese Woche nicht gerade gute Meldungen hervorgebracht. So hat nun auch facebook angekündigt, in das Geschäft des Video-Streamings zu investieren. So gibt es nun schon mit Amazon bereits zwei namhafte Wettbewerber für Netflix und die Aktie von Netflix ist weiter ausverkauft worden.

Ich hatte vergangene Woche bereits die Wettbewerbssituation zwischen Netflix und Amazon.com ausführlich beschrieben. Zu facebook kann man nun flüchtig sagen, dass die 600 Mio. weltweiten facebook-Kunden natürlich „Potenzial“ genug für facebook sind, um Netflixs 20 Mio. Abonnenten gefährlich zu werden. Doch so einfach lässt sich ein Abonnementgeschäft nicht aufbauen, so schnell springen auch Internetkunden nicht über.

Doch neben der Touchpad-Schwemme (siehe Aktualisierung zu Apple in Kapitel 05) gesellt sich nun auch die Video-Schwemme. Finisar, ein Unternehmen, das beim Ausbau des optischen Internets (Glasfiber) mitarbeitet, hat diese Woche einen enttäuschenden Geschäftsausblick für 2011 gegeben. JDS Uniphase (-17%), Ciena (-6%) und alle anderen Unternehmen, die am optischen Netzwerkausbau beteiligt sind, brachen ein. Finisar selbst stürzte um 40% ab!

Zwei meiner drei Megatrends 2011 sind damit derzeit unter Beschuss: Touchpads und Videostreaming. Bleibt die Cloud mit ihren Rechenzentren. Ist die Cloud immun? Oder dürfen wir uns auch dort auf einen Ausverkauf vorbereiten?

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (10.03.2011)

Dow Jones: 11.985 | -2,2%
DAX: 7.063 | -2,3%
Nikkei: 10.254 | -4,1%
Euro/US-Dollar: 1,379 | -1,3%
Euro/Yen: 114,4385 | -0,8%
10-Jahres-US-Anleihe: 3,39% | -0,2
Umlaufrendite Dt: 3,01% | 0,1
Feinunze Gold USD: $1.416,78 | -0,1%
Fass Crude Öl USD: $101,31 | -1,2%
Kupfer in US$/to: 9.147 | -8,2%
Baltic Dry Shipping I: 1.538 | 16,8%


Am besten können Sie die aufkommenden Konjunkturängste in der Kupferpreisentwicklung ablesen: Minus 8,2%. Entsprechend sind auch die Aktien der Rohstoffindustrie diese Woche eingebrochen: Vale -8%, Rio Tinto -11%, Freeport McMoRan -9%, Xstrata -5% und BHP Billiton -8%.

Bei diesen Titeln müssen wir uns abgesehen von kurzfristigen Schnäppchenjägern überlegen, ob sich dieser Rücksetzer für den Aufbau von langfristigen Positionen nutzen lässt.

SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
18.02.- 25.02. (339): 50% / 11%
25.02.- 04.03. (330): 53% / 8%
04.03.- 11.03. (334): 50% / 7%

Kaufempfehlungen der Analysten
Dt. Post, Daimler, Spreadtrum (China)

Verkaufempfehlungen der Analysten
Beiersdord, Dt. Telekom, Alstom S.A.

Privatanleger
08. KW: 59% Bullen (209 Stimmen)
09. KW: 75% Bullen (233 Stimmen)
10. KW: 67% Bullen (189 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Havas S.A. (Kommunikation), Rhodia S.A. (Chemie), Daimler

Verkaufempfehlungen der Privatanleger
Alcatel-Lucent, Sky Deutschland


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel

Vor einer Woche noch schienen alle Probleme lösbar: Gaddafi würden man schon früher oder später aus dem Land jagen, die Schuldenkrise haben die Europäer im Griff und gute Unternehmensmeldungen sorgten für Feierlaune.

Nur eine Woche später hat sich gezeigt, dass nicht Gaddafi aus dem Land gejagt wird sondern höchstens die Aufständischen. Und die europäische Schuldenkrise erreicht eine neue Dimension, da sich die einzelnen Länder auf immer weniger einigen können. Gleichzeitig wurden Griechenland und Spanien in der Bewertung herabgesetzt, ein Schuldenschnitt in Griechenland gilt nunmehr als zu 20% wahrscheinlich. Und seitens der Unternehmen dominieren wieder die Hiobsbotschaften.

Da steht die Börse nun am Scheideweg: Beginnt hier eine heftigere, lang anhaltende Korrektur oder ist das nur eine Überreaktion auf die Ereignisse der vergangenen Tage?

Die Gefahr eines Endes der zwei Jahre alten Rallye (am 9. März war der zweite Geburtstag dieser Rallye) ist gegeben. Der Ölpreis verharrt über 100 USD/Fass. Unternehmen werden vor dem Hintergrund so hoher Rohstoffpreise keine so optimistischen Prognosen mehr erstellen, und so könnte sich, wenn diese Nachrichtenlage zu lange anhält, eine negative Stimmung formieren, die einen Abwärtstrend initiiert.

Doch anders als 2008, als die hohen Rohstoffpreise, gepaart mit den Finanzierungsstopps der Finanzbranche, die Wirtschaft zum Erliegen brachten, schwimmen Unternehmen heute im Geld und können ihre Expansion aus eigenen Mitteln weiter vorantreiben.

Und anders als 1999 / 2000, als der Nasdaq sich binnen weniger Monate verdoppelte und sich dann nochmals verdoppelte, da die ganze Welt ins Internet verlegt zu werden drohte, wird der heutige Boom von der Industrie getragen: China baut, was das Zeug hält. Die Energiebranche befindet sich im Umbruch zu effizienteren Kraftwerken. Der Internetblase von 2000 und der Immobilienblase von 2008 steht heute keine entsprechende Blase gegenüber, oder?

Der Startschuss für die Suche nach der nächsten Blase ist diese Woche gefallen. Öl? Liquiditätsschwemme? Gold? Staatsanleihen? Hmmm,..

Ist es also heute der richtige Zeitpunkt, offensiv in den Markt zu gehen? Oder sollte man lieber Positionen auflösen und der Börse für ein paar Wochen den Rücken kehren?
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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