Alt 03.07.10, 01:33
Standard So tickt die Börse: Rückwartsgang mit Beschleunigung
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Nachdem ich in der vergangenen Woche den „Bid underneath“
erklärt habe, folgt der Ausverkauf auf dem Fuße und heute
stehen die Börsen kurz über genau dem von mir benannten Niveau.
Dabei ist an sich nichts Dramatisches passiert: Der G20-Gipfel
in Kanada wurde zum Schmusekurs für die Regierungschefs.
Verschiedene Positionen wurden bekannt gegeben und als keine
Einigung zu erzielen war, bekräftigte man, dass man die
Argumente der anderen verstehe und aber an der Umsetzung der
eigenen Überzeugungen weiterarbeiten werde. Resultat? Keines.

Diese Woche endete der Juni und der Kuli begann. Normalerweise
werden zum Monats- und diesmal sogar Quartals- und
Halbjahresende die Aktien ins Depot geholt, die in den
Vormonaten am besten liefen. Kein Portfoliomanager möchte sich
vorwerfen lassen, die besten Aktien der abgelaufenen Periode
NICHT in seinem Portfolio zu haben.

Doch nachdem wir seit einigen Wochen bereits eine
Seitwärtsbewegung erleben, gab es nicht unbedingt die
großartigen Aktien, die jeder in seinem Portfolio haben wollte.
Mir sind kaum Aktien aufgefallen, die ohne besondere
Nachrichten angestiegen wären. Komisch. Untypisch!

Der neue Monat begann am gestrigen Donnerstag und normalerweise
bekommen Fondsmanager Anrufe ihrer Kunden, die nach Abrechnung
des Vormonats nunmehr ihren Spargroschen an den Fonds
überweisen. Fondsmanager können sodann auf Einkaufstour gehen
und treiben so die Kurse tendenziell in die Höhe. Doch gestern
ist der Dow Jones um knapp ein halbes Prozent nach unten
gegangen. Komisch. Untypisch! Oder wäre der Index andernfalls
noch stärker eingebrochen?

Als Hauptgrund für die Zurückhaltung wird China ausgemacht:
Gleich zweimal hat das Land der Mitte diese Woche vermeintliche
Hiobsbotschaften veröffentlicht. Zum einen ist das
Wirtschaftswachstum auf 7% zurückgegangen. Zum anderen hat der
chinesische Einkaufsmanagerindex eine sich eintrübende Stimmung
verkündet. Zusätzlich wird für Mitte Juli der Börsengang der
Agricultural Bank of China erwartet, der größte Börsengang der
Finanzgeschichte. Wer da mitmachen will, der spart schon jetzt
darauf.

So befindet sich der Shanghai Aktienindex auf dem tiefsten
Stand seit 15 Monaten. Die Industrienationen, die auf die
Nachfrage von China angewiesen sind, fürchten einen
Nachfrageeinbruch. Insbesondere im Rohstoffsektor macht sich
diese Angst bemerkbar.

Doch in der Zwischenzeit hat sich der Euro stabilisiert. Die
„Angriffe“ der Spekulanten auf den Euro sind erfolgreich
abgewehrt, die Banco Santander steht wieder deutlich höher als
zu Krisenzeiten und mit jeder Woche, die der Supergau
ausbleibt, steigt das Vertrauen in die eigene Wirtschaft. Doch
dann ...

... meldet sich die Bundesregierung mit dem Vorhaben, die
Krankenkassenbeiträge zu erhöhen. Ein weiterer Nadelstich für
alle Arbeitssuchenden, denn Arbeitgeber werden zunächst
abwarten, welche zusätzlichen Kosten künftig auf sie zukommen,
bevor neue Jobs geschaffen werden.

Und das ist symptomatisch für die politischen Aktionen
weltweit. Weltweit gibt es Politiker, die das Volk hinter sich
wissen, wenn sie den Staatshaushalt konsolidieren – sprich die
Geschwindigkeit, mit der neue Schulden gemacht werden, etwas
verlangsamen. Und da werden Tabu-Themen angefasst, die
andernfalls nicht durchsetzbar wären. Ich fürchte, dass wir in
den nächsten Monaten noch viele solche Themen diskutieren
werden. Und genau das hindert den DAX daran, über 6.300 Punkte
zu springen.

Schauen wir einmal, was die Börsen in den vergangenen Tagen
gemacht haben. Hier der Wochenvergleich der wichtigsten
Indizes:

INDIZES (01.07.2010)

Dow Jones: 9.733 | -4,1%
DAX: 5.857 | -4,2%
Nikkei: 9.204 | -5,5%
Euro/US-Dollar: 1,250 | 1,5%
Euro/Yen: 110,01 | -0,4%
10-Jahre-US-Anleihe: 2,93% | -0,2
Umlaufrendite Dt: 2,21% | 0,0
Feinunze Gold USD: $1.201,54 | -3,4%
Fass Crude Öl USD: $72,10 | -5,4%
Baltic Dry Shipping I: 2.351 | -6,0%


Ein Kurseinbruch von über 4% riecht nach Panik, nach
Verzweiflung. Doch davon kann ich nichts sehen. Vielmehr waren
Dow Jones und DAX an ihre jeweiligen Obergrenzen gelaufen und
so musste zwangsläufig ein Ausverkauf folgen. Da dies so klar
war wie das Amen in der Kirche, haben Spekulanten diese
Bewegung mit Hilfe von „innovativen Finanzderivaten“
beschleunigt. Als einmal klar war, dass die Indizes nun von der
oberen zur unteren Grenze einbrechen werden, wurden
Hebelprodukte gekauft, sodass der Einbruch in Rekordzeit
erfolgte.

Natürlich führen Bedenken um China und rückläufige Aktienkurse
auch zu einem rückläufigen Ölpreis. Obwohl man denken sollte,
dass ein rückläufiger Ölpreis der Wirtschaft gut tut und die
Aktienpreise daher steigen sollten (günstigere Energie- und
damit Produktionskosten), wird der fallende Ölpreis aktuell als
Konjunkturangst interpretiert und so fallen Ölpreis und
Aktienkurse parallel.

Wenngleich also keine Panik zu sehen ist, so machen sich doch
wieder Sorgen über einen doppelten Boden breit: Der Aufschwung,
der im März 2009 begann, könnte nach Meinung der Bedenkenträger
nochmals abgewürgt werden, und vor einer weiteren Besserung
müsste sich nochmals das Katastrophenszenario von vor einem
Jahr wiederholen. Anders als mit solchen Bedenken kann ich mir
zumindest nicht erklären, dass die Rendite der 10 Jahre
laufenden US-Staatsanleihen diese Woche unter 3% gedrückt
wurde.

Mal sehen, wie sich die Stimmung am Markt entwickelt hat:

SENTIMENTDATEN

ANALYSTEN:
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
11.06.- 18.06. (155): 48% / 22%
18.06.- 25.06. (169): 41% / 12%
25.06.- 02.07. (146): 55% / 14%

ANALYSTEN KAUF
Deutsche Lufthansa, Danone, Deutsche Börse

ANALYSTEN VERKAUF
Électricité de France, Novartis, E.ON

PRIVATANLEGER:
24. KW 2010: 52% Bullen (73 Stimmen)
25. KW 2010: 53% Bullen (67 Stimmen)
26. KW 2010: 61% Bullen (68 Stimmen)
Durchschnittlich erwarteter DAX-Endstand für heute: 6.077

PRIVATANLEGER KAUF
France Télécom, Lafarge

PRIVATANLEGER VERKAUF
Estée Lauder


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise
erstellt: http://www.sharewise.com?heibel

In den Ausverkauf hinein hagelt es (so zumindest mein
subjektiver Eindruck) Kaufempfehlungen von Analysten. Das ist
der Augenblick, auf den Analysten gewartet haben, um ihre
positive Unternehmensbetrachtung zu veröffentlichen. Dieses
Verhalten deckt sich auch mit meinem „Bid underneath“, den ich
in der vergangenen Woche beschrieben habe.

Auch die Privatanleger sind im Rahmen des Ausverkaufs
bullischer geworden. Auch das spricht in meinen Augen dafür,
dass dem Ausverkauf keine Panik zugrunde liegt, sondern einfach
ein charttechnischer Widerstand, der wieder einmal nicht
überwunden werden konnte.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
 Es ist 15:23 Uhr.
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