Alt 25.06.11, 00:25
Standard So tickt die Börse: Finanzpresse verkennt positiven Effekt des Ölpreissturzes
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Konzertierte Aktion beendet gehebelte Spekulationen.

„Ölpreise weiter im freien Fall ... Doch der Erfolg könnte nur von kurzer Dauer sein“ titelt das Handelsblatt. „Angebotsaktion scheint zu verpuffen“ mutmaßt n-tv. „Politische Börsen haben kurze Beine“ schreiben schon die ersten Marktkommentatoren. Doch unsere Medienintelligenz übersieht eine Kleinigkeit: Der Ölpreis wird nicht mehr durch Angebot und Nachfrage bestimmt sondern durch die Finanzmärkte und deren Spekulanten.

Schon lange ist es relativ wenigen und kleinen Hedgefonds möglich, durch gehebelte und gezielte Investments den Ölpreis in die Höhe zu treiben. Ich habe im Heibel-ticker vielfach darüber berichtet. Die Flutung der Ölmärkte durch den verkauf aus diversen strategischen Ölreserven bricht diesen Spekulanten nun das Genick. Es ist die zweitbeste Lösung und dringend nötig.

Dringend nötig, weil die Wirtschaft unter dem anhaltend hohen Ölpreis zu leiden begann. Insbesondere in den sind waren die Auswirkungen des hohen Ölpreises zu spüren und allein die USA verkaufen die Hälfte des für diese konzertierte Verkaufsaktion vorgesehenen Öls: 30 Mio. Fässer.

Aber insgesamt haben sich über 20 Länder an der Aktion beteiligt, auch Deutschland, denn die Notwendigkeit ist unbestritten. Da wurden Billionen in die Vermeidung einer zweiten Weltwirtschaftskrise gesteckt und jetzt, wo die Konjunktur anziehen soll, die Hilfsmaßnahmen auslaufen und die Wirtschaft langsam auf eigenen Füßen stehen soll vereiteln einige kleine Hedgefonds dieses große Ziel indem sie den Ölpreis künstlich hoch halten. Es war dringend nötig, diese Spekulation zu beenden.

Die Geschwindigkeit des Ölpreiseinbruchs ist ein Beleg dafür, dass nicht plötzlich und über Nacht die Nachfrage wegbricht, dazu gibt es derzeit überhaupt keine volkswirtschaftlichen Anhaltspunkte, sondern dass Hedgefonds panisch ihre gehebelten Long-Positionen versilbern. Der Zeitpunkt kurz vor dem Quartalsende ist günstig gewählt, da Hedgefonds in der Regel nur viermal im Jahr ihren Anlegern genehmigen, Geld abzuziehen – jeweils zum Quartalswechsel. So erhöht sich der Druck auf die Hedgefonds durch die Auszahlungsverpflichtungen. Die Ölspekulation geht den Bach runter, weitere Sicherheiten in Form von Bargeld müssen aufgetrieben werden und gleichzeitig müssen Kundeneinlagen ausbezahlt werden. DA greift man dann auch auf die guten Positionen im Portfolio zurück, die nun versilbert werden. Und so gerät „plötzlich“ der gesamte Markt unter Druck, wie wir gestern sahen.

Dass ein niedriger Ölpreis gut für die Konjunktur, gut für die meisten Unternehmen ist sieht in einem solchen Umfeld kein Journalist der Massenmedien. Nein, der Kursverfall wird anders interpretiert. Etwa so: „Die konzertierte Aktion, zu der die IEA (Internationale Energieagentur) aufgerufen hat, wird von über 20 Ländern in Not befolgt. Länder in Not greifen zu dieser Marktmanipulation, um ihre eigene Wirtschaft vor dem Rückfall in eine Rezession zu bewahren. Doch dieser Schritt ist nicht nachhaltig, der Ölpreisanstieg kann nicht aufgehalten werden und so wird diese Aktion am Ende des Tages nichts bewirkt haben als viele Steuergelder zu verbrennen, die sodann zum teureren Rückkauf der strategischen Ölreserven benötigt werden.“

Was für ein Quatsch.

Aber in einem Punkt haben die Massenmedien Recht: Das Problem ist nur vorübergehend gelöst. Die Ursache des Problems, das Fußballspiel mit 110 (Hedgefonds) gegen 11 (Ölkonzerne & Verbraucher) ist noch immer unfair und es wird nicht lange dauern bis sich neue Hedgefonds formieren, um dieses Ungleichgewicht zum eigenen Nutzen auszukosten.

Daher handelt es sich nur um die zweitbeste Lösung. Die beste Lösung wäre die Anhebung der Sicherheitserfordernisse für den Ölhandel, besser gesagt die Ölspekulation. Heute kann man das Zehnfache seines Kapitals einsetzen. Durch die Eliminierung dieses Hebels hätte man kostenfrei und über Nacht den Ölpreis auf 80 USD/Fass Texas-Öl drücken können.

Doch das müssten die Börsenplätze tun. Und die Börsenplätze sind privatwirtschaftliche, teilweise börsennotierte und somit gewinnmaximierende Unternehmen, die von den Provisionen der Hedgefonds leben. Sie würden sich den eigenen Ast absägen, auf dem sie sitzen.

Ich bin weiß Gott ein Verfechter der freien Märkte und vielleicht sogar ein Kapitalist. Aber je tiefer ich in unser Finanzsystem einsteige, desto mehr komme ich zu der Überzeugung, dass dort viel staatliche Intervention, Regulierung, ja vielleicht sogar Verstaatlichung (ohh Gott, ich hab’s wirklich geschrieben!) notwendig sein könnte.

Fazit: Diese konzertierte Aktion wird den Spekulanten eine Lektion sein. Das Risiko einer Long-Spekulation ist nunmehr gestiegen und ich erwarte im Gegensatz zur landläufigen Meinung keinen schnellen Anstieg des Ölpreises über 100 USD/Fass Texas Öl (aktuell bei 91 USD/Fass). Vielmehr dürfte die Liquidation noch eine Weile fortschreiten und den Ölpreis meines Erachtens deutlich unter 85 USD/Fass drücken.

Doch das Problem ist nicht gelöst sondern genau wie die Griechenlandkrise nur verschoben. In zwei oder drei Jahren wird man die heutige konzertierte Aktion wieder vergessen haben und den Ölpreis erneut in die Höhe jubeln.

Bis dahin jedoch wird die Wirtschaft profitieren. Der erste meiner vier wichtigen Faktoren für eine nachhaltige Aktienrallye ist damit eingetreten.


Italiener Draghi wird neuer EZB-Chef

Brrrrrr, wenn es kalt ist im Haus, dann haben Sie verschiedene Möglichkeiten das Problem anzugehen. Doch wichtiger als die richtige Fragestellung ist der Adressat. Die Frage ist schnell formuliert: Wie bekomme ich mein Haus wärmer?

Gehen Sie damit zur Firma Sto, dann wird man Ihnen die Dämmung Ihres Gebäudes ans Herz legen. Fragen Sie hingegen den Heizungsbauer, dann wird er Ihnen vorschlagen, mehr Heizungen im Haus einzubauen und einen stärkeren Brenner zu verwenden.
Sie können natürlich auch den Fensterbauer fragen, er wird Ihnen neue Fenster empfehlen.

Die Schulden vieler EU-Staaten sind ausgeufert und die Refinanzierung der Zahlungsverbindlichkeiten stellt sich als Problem heraus. Wenn Sie zu einem Deutschen gehen, dann wird er Ihnen Sparsamkeit, Enthaltsamkeit und harte Einschnitte Vorschlagen. Sind das italienische Tugenden?

Ich erinnere mich noch, wie ich beim Italienurlaub Mitte der Achtziger Jahre mit zwei verschiedenen Währungen hantieren musste: Die neuen Lire hatten einfach drei Nullen weniger als die alten.

Nein, ich will damit nicht die Qualität des designierten EZB- Chefs in Frage stellen. Auch halte ich einen Währungsschnitt im Verhältnis 1:1000 für unwahrscheinlich. Aber tendenziell sollten Sie sich davon verabschieden die uns liebgewonnene harte Geldpolitik in Brüssel zu sehen. Das Wissen, das wir Deutschen in den vergangenen Jahren durch unsere D-Mark aufgebaut haben, wird in Brüssel nur in der zweiten Reihe abgefragt.

In der ersten Reihe steht jemand, der „eigentlich“ auch einen stabilen Euro verteidigen möchte. Doch das tiefe Wissen aus Jahrzehnten Geldpolitik in Italien wird ihm Wege zeigen, wie man trotz einer etwas höheren Inflation stabile politische Verhältnisse schafft. Warum ist eigentlich der deutsche Weg besser? Sind wir Deutschen glücklicher als die Italiener?

Ich verteidige hier im Heibel-Ticker stets die harte Linie bei der Geldpolitik, denn es ist „volkswirtschaftlich unstrittig“, dass diese Linie Vorteile hat. Aber politisch? Gesellschaftlich? Vielleicht können wir von den Italienern lernen. Der Heibel-Ticker ist ja kein politisches Instrument, vielmehr möchte ich Ihnen helfen, Ihre Ersparnisse bis ins hohe Alter zu retten bzw. zu vermehren. Und da müssen wir einfach die Gegebenheiten hinnehmen und darauf reagieren.

Ich reagiere einfach indem ich künftig Gold und ausländische Aktien etwas höher gewichte. Mehr Bedeutung brauchen wir der Wahl Draghis nicht zusprechen.

Puh, ganz schön viel Sarkasmus heute für Ihren grundsätzlich so optimistisch gestimmten Autor.

Schauen wir uns einmal den Wochenverlauf der wichtigsten Indizes an:


Wochenperformance der wichtigsten Indizes

INDIZES (23.06.2011)

Dow Jones: 12.050 | 0,7%
DAX: 7.149 | 0,5%
Nikkei: 9.641 | 3,1%
Euro/US-Dollar: 1,426 | 0,7%
Euro/Yen: 114,72 | 0,6%
10-Jahre-US-Anleihe: 2,91% | 0,0
Umlaufrendite Dt: 2,70% | 0,0
Feinunze Gold USD: $1.522,46 | -0,4%
Fass Crude Öl USD: $91,58 | -3,8%
Kupfer in US$/to: 8.978 | -0,5%
Baltic Dry Shipping I: 1.414 | -0,7%



Der Nikkei hat kräftig aufgeholt, und das ohne die Hilfe der japanischen Währung. Erste Anzeichen für einen beginnenden Wiederaufbau nach der dreifachen Katastrophe haben den Anlegern Mut gemacht. Auch aus eine Reihe von Analystenkonferenzen international agierender Unternehmen sickerten Informationen, dass der wirtschaftliche Einbruch Japans in Folge der Katastrophen zwar schlimmer war als erwartet, doch konnten die Auswirkungen gut überbrückt werden, so dass für die zweite Jahreshälfte Besserung an allen Fronten erwartet wird.

Die Stimmung hat sich in dieser Woche merklich aufgehellt. Nicht zuletzt das gewonnene Vertrauensvotum des griechischen Ministerpräsidenten hat der Hinhaltetaktik der EU den Rücken gestärkt. Eine Katastrophe wird nun kaum noch befürchtet und jeder Tag ohne Umschuldung ist ein Gewinn in den Augen der Anleger. Schauen Sie selbst:

Sentimentdaten

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
03.06.- 10.06. (289): 51% / 7%
10.06.- 17.06. (225): 58% / 11%
17.06.- 24.06. (242): 60% / 9%

Kaufempfehlungen der Analysten
K+S, St. Gobain, Zurich Financial Services

Verkaufempfehlungen der Analysten
Research In Motion, Nokia, SabMiller

Privatanleger
23. KW: 65% Bullen (182 Stimmen)
24. KW: 63% Bullen (140 Stimmen)
25. KW: 58% Bullen (185 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Celesio, Commerzbank

Verkaufempfehlungen der Privatanleger
SGL Carbon, LinkedIn


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel


interessant ist in diesem Zusammenhang ein Gespräch, das ich mit einem Buyside-Analysten führte: er unterschied Analysten und institutionelle Anleger. Während Analysten reihenweise Kaufempfehlungen ausspucken, weil die Bewertungsniveaus der analysierten Unternehmen immer günstiger werden, produzieren die Makro-Modelle institutioneller Anleger immer mehr Verkaufsempfehlungen. Je mehr volkswirtschaftliche und technische Marktdaten in die Systeme gefüttert werden, desto mehr Verkaufssignale werden generiert: 200-Tages- Durchschnittslinien wurden nach unten durchbrochen, schlechte Arbeitsmarktdaten in den USA, restriktive Geldpolitik in China und Indien, ... genug Gründe, um das Aktienengagement zu verkleinern.

Womit wir bei der Gretchenfrage sind: Wem folgen wir? Makro oder Mikro? Konjunkturdaten oder Unternehmenszahlen? Technischen Signalen oder fundamentale Bewertungsniveaus?
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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