Alt 04.06.19, 07:45
Standard So tickt die Börse: Verantwortliche Branchen für den Ausverkauf
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So, jetzt geht's rund: Mit zur Stunde (13:30 Uhr) -3% im Wochenvergleich kehrt so langsam Panik unter den Anlegern ein. Es geht so ziemlich alles schief, was schief gehen kann: Der Kompromiss zwischen den USA und Mexiko (USMCA), der solange ein neuer NAFTA-Vertrag ausgehandelt werden sollte in Kraft war, wurde von Präsident Trump stilecht per Tweet außer Kraft gesetzt. Ein Strafzoll von 5% auf alles aus Mexiko tritt am 10. Juni in Kraft und erhöhe sich schrittweise, bis das Problem der illegalem Einwanderung gelöst sei.

Die EU-Wahlen waren ein Erfolg, behaupten nun alle Parteien, denn die überraschend hohe Wahlbeteiligung habe gezeigt, dass EU-Bürger mehr EU möchten. Das ist meiner Meinung nach richtig, doch dabei übersehen die großen Parteien, dass die Bürger durch ihre Kreuze gesagt haben, dass sie ein ANDERES vereintes Europa wollen als durch die Volksparteien in den vergangenen Jahren erschaffen. Es ist genau das Wahlergebnis, das die Einschätzung, die ich Ihnen seit Jahren vorbete, widerspiegelt: Europa: Ja, nur nicht so!

Nun soll Europa einen Kommissionspräsidenten erhalten, der aus dem Lager der unterlegenen Parteien stammt: Manfred Weber (CDU/CSU -18% der Sitze) oder Frans Timmermans (SPD -23% der Sitze)? Die europäischen Christdemokraten (EVP) sind zwar noch immer die größte Partei Europas, gefolgt von den Sozialdemokraten (S&D), doch genau wie bei der letzten Bundestagswahl hat die Regierungskoalition um Jean-Claude Juncker bei der EU-Wahl einen heftigen Denkzettel erhalten. In Deutschland haben wir daraus ein "Weiter so" gemacht, ich fürchte, ähnliches droht uns nun auch auf EU-Ebene.

Der französische Präsident Macron macht sich derweil für die dänische liberale Margrethe Verstager stark, die bislang die Wettbewerbskommission geführt hat. Doch Angela Merkel will davon nichts hören.

Das europäische Volk hat bei der Postenbesetzung nicht viel zu sagen. Es handelt sich um hohe Politik! Denn in relativ kurzen Abständen müssen eine ganze Reihe weiterer Posten auf EU-Ebene besetzt werden und da gibt es nationale Befindlichkeiten, die berücksichtigt werden, sowie Machtverhältnisse der Parteien und, als sei das noch nicht genug, es spielen auch die Geschlechter eine wesentliche Rolle.

Nicht nur Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sucht einen Nachfolger, auch Ratspräsident Donald Tusk (Polen), Parlamentspräsident Antonio Tajani (Italien), die EU-Außenbeauftragte Frederica Mogherini (Italien) und natürlich der EZB-Präsident Mario Dragee (Italien).

Aprospos Italien ... oder wie komme ich gerade jetzt auf Italien? Für Italien läuft heute die Galgenfrist ab, ein schlüssiges Konzept zur Reduzierung der Schuldenkrise in Italien vorzulegen. Sie erinnern sich? Italien, die drittgrößte Volkswirtschaft Europas, möchte das Rentenalter erhöhen und eine Reihe weiterer Maßnahmen umsetzen, um dem Volk ein wenig unter die Arme zu greifen. Finanzieren lässt sich das Ganze nicht mehr, das Land Italien ist zu hoch verschuldet und der Bankensektor liegt am Boden. Schuld an der ganzen Misere sei aber die EU, so haben wir es immer gehört. Nun höre ich, dass es kein solches Konzept geben werde, stattdessen mache man das niedrige Zinsniveau und die weltweiten Handelsstreitigkeiten für die steigende Verschuldung verantwortlich.

Darüber, dass Theresa May nächste Woche gehen wird und vermutlich ein Brexit-Befürworter (Boris Johnson?) ihren Job erbt, haben wir letzte Woche schon gesprochen. Auch darüber, dass China nicht mit Zöllen auf Trumps Strafzölle reagieren kann, sondern sich vielleicht sogar zu einem Exportverbot von Seltenen Erden entscheiden könnte. In einer ersten Reaktion befürchten Anleger, dass die gesamte Technologiebranche ohne Seltene Erden zum Stillstand kommen könnte. Inzwischen wendet man sich möglichen Alternativen zu: Viele "Seltene Erden" können ersetzt werden, zudem verfüge Russland über Überkapazitäten bei der Förderung Seltener Erden und einen Teil der Nachfrage können die USA zu Hause fördern, dauert halt nur ein bisschen.

Bevor ich jetzt noch alle anderen Krisenherde aufliste, gehen wir die einzelnen Themen lieber mal als Anleger durch und schauen, welche Aktien derzeit gemieden bzw. ausverkauft werden.

HANDELSSTREIT

Donald Trump ist unberechenbar, das hat sich erst heute wieder gezeigt, als er Mexiko mit 5% Strafzoll "auf alles" belegte. Wer also glaubt, unsere Autoindustrie sei vom Haken, der irrt. Exportunternehmen sind in dieser Zeit stark gefährdet.

Diese Woche hat der Automobilsektor mit -3,4% kräftig Federn gelassen. Allen voran Anhängerhersteller SAF Holland (-10,8%), aber auch Osram Licht (-6,6%), Kofferraumbauer Stabiles (-5,8%) und Sixt (-4,9%). Gerade Sixt finde ich für unsere mobile Zukunft gut aufgestellt, da das Unternehmen flexibel ist und ohnehin schon eine mobile Zukunft ohne den Eigenbesitz eines Autos propagiert.

Maschinenbauer Dürr (-5%), Hella Licht (-4,6% und Ingenieurbüro Bertrand (-4,4%) haben ebenfalls Federn gelassen, bis hin zu den Branchengrößen VW -3,7%), Daimler (-3,3%) und BMW (-3%), aber auch die großen Zulieferer Infineon (-2,9%) und Conti (-2,8%).

Daimler und BMW haben aufgrund des NAFTA-Abkommens gigantische Produktionsstätten in Mexiko gebaut, aus denen dann Süd- und Nordamerika beliefert werden sollten. Trump ist sauer, dass diese Autos nicht in den USA gebaut werden, da können BMW und Daimler noch so laut beteuern, dass die mexikanischen Autos doch nur nach Südamerika geliefert würden. Die Fabriken werden in Mexiko gebaut, weil es das NAFTA-Abkommen gab, das Präsident Trump verteufelt.

Die deutsche Industrie ist maßgeblich für unseren Titel als Exportweltmeister verantwortlich, entsprechend haben diese Titel diese Woche ebenfalls stark verloren (-3,2%): Aixtron -11,2%, Siemens, Indus Holding, Heidelberger Druck, König & Bauer Druckmaschinen, Krone Getränkemaschinen, Pfeiffer Vacuum, Rheinmetall, Gerresheimer und WashTec haben sämtlich diese Woche jeweils zwischen -3% und -5% verloren.

Der Handelsstreit belastet die Wachstumsaussichten. Und ein rückläufiges Wachstum mindert die Nachfrage nach Rohstoffen, entsprechend sind die Rohstoffpreise rückläufig und Rohstoffaktien fallen im Schnitt um -3,5%: ThyssenKrupp -4,9%, K+S -2,9%, Aurubis -3,9%, Salzgitter -3,7%, Klöckner, -5,8% und SGL Carbon -7%.

EINZELHANDEL

Die Einzelhandelsumsätze im Monat Mai sind überraschend um -2% zurückgegangen, erwartet wurde ein Anstieg um 0,4%. Der Konsument kauft nicht mehr. Diese Entwicklung hatte sich bereits Anfang der Woche angedeutet, als das GFK Konsumklima mit 10,1 schon deutlich hinter der Erwartung zurück blieb. Außerdem ist die Arbeitslosenquote zum ersten mal seit !fünf Jahren! wieder angestiegen, von 4,9% auf 5,0%. Weniger Beschäftigung bedeutet ebenfalls weniger Konsumnachfrage.

So bot auch der Einzelhandel Investoren keinen Schutz, die Branche fiel im Schnitt um -2,2%. Darunter Zalando mit -4,9%, Puma -5,7% und Hugo Boss -6%. Mein Favorit Zooplus gab sogar 7,2% ab. Cewe Photobuch -3,1%, Takkt Büroartikel -3,2% und Ceconomy -2,5%. Selbst Highflyer Adidas gab -1,9% ab.

NEGATIVES ZINSNIVEAU

Die US-Rendite der 10 Jahre laufenden Staatspapiere hatte mit dem Überschreiten der 3%-Hürde im vergangenen Sommer noch einen Ausverkauf ausgelöst. Ich hatte damals schon darauf hingewiesen, dass der Zins als nächstes durchaus nochmals fallen könnte und heute steht die Rendite bei nur noch 2,22%.

Angst dominiert das Anlegerdenken: Die Flucht in vermeintlich sichere Anlageorte wie Anleihen führt dazu, dass die Rendite nach unten geprügelt wird. So ist auch nachvollziehbar, dass die US-Amerikaner laut lachen, wenn jemand droht, dass die Chinesen ihre Trillionen an US-Staatsanleihen auf den Markt werfen könnten. "Nur zu!" ist da zu hören, das Angebot würde locker aufgesogen.

Die Flucht in Anleihen zeigt sich auch in der Erwartung über die künftige Zinsentwicklung: Derzeit hat die US-Notenbank den Leitzins auf 2,25-2,5% festgesetzt. Ursprünglich sprach Fed-Chef Jay Powell von zwei bis drei weiteren Zinsanhebungen, die er im laufenden Jahr durchführen wolle. Das war im vergangenen Oktober und löste den Chaos-Dezember aus. Inzwischen hat er diese Prognose zurückgenommen.

Doch am Markt sieht man inzwischen sogar Zinssenkungen aufgrund der angespannten konjunkturellen Situation. Fast die Hälfte aller Volkswirte erwartet bereits in diesem Sommer eine erste Zinssenkung, bis Dezember gehen die meisten sogar von zwei Zinssenkungen aus. Das kann nur bedeuten, dass diese Volkswirte keine schnelle Lösung im Handelsstreit zwischen den USA und China erwarten.

Der Zins für 3 Monate laufende Kredite ist höher als für 10 Jahre laufende Kredite. Die Zinskurve ist also wieder invertiert und Analysten fürchten eine Rezession, da dies in der Vergangenheit stets auf eine invertierte Zinskurve folgte.

Im ersten Schritt werden bei niedrigem Zinsniveau und invertierter Zinskurve die Banken verkauft, der Finanzsektor gab diese Woche -2,6% ab: Deutsche Bank -4,6%, Commerzbank -6,6%, Aareal Bank -2,6%. Aber auch Finanzinstitute wie Grenke IT-Leasing -4,2% und Versicherungen wie Allianz -1,7%, Münchener Rück -1,3%, Hannover Rück -1% und Talanx -0,9%. Den Vogel schießt heute natürlich wieder mal die Wirecard ab, -10,4%.

Heute hat das Handelsblatt berichtet, dass Anlagebetrüger aus Wien und Sofia unter Nutzung der Wirecard-Angebote betrügerische Geschäfte abgewickelt haben, die Staatsanwaltschaft ermittle. Es ist wieder der alte Vorwurf, dass das vollautomatische Netzwerk von Wirecard solche windigen Geschäfte eben nicht aufdeckt und daher bevorzugtes Netzwerk von Betrügern ist, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, dass die Wirecard betrüge. Man kann der Wirecard vorwerfen, noch nicht genug gegen solche Machenschaften zu unternehmen, doch die Machenschaften selbst sind nicht der Wirecard anzulasten.

GESUNDHEITSSYSTEM

In den USA laufen sich die Präsidentschaftskandidaten warm und testen ihre Themen. Bernie Sanders strapaziert schon wieder strukturelle Probleme des US-Gesundheitssystem, das zu teuer für den Durchschnittsbürger sei. Auch Elizabeth Warren stößt in das gleiche Horn. Derzeit führt jedoch Joe Biden die Umfragen an, er gilt als deutlich moderater eingestellt gegenüber dem etablierten Gesundheitssystem. Dennoch gehen schon mal sämtliche Aktien des Gesundheitssektors vorsichtshalber in die Knie, bevor tatsächliche Argumente bekannt werden. Wenn aber in den USA im Gesundheitssektor weniger zu verdienen ist, dann hat das auch Auswirkung auf deutsche Gesundheitstitel, die einen Großteil ihres Gewinns in dem attraktiven US-Markt erzielen.

So hat der Gesundheitssektor der DAX-Familie diese Woche -3,3% abgegeben: Biotech-Unternehmen wie Morphosys -7,9%, Evotec -7,4%, Medizintechnik Drägerwerk -3,6%, Carl Zeiss Meditec -5,6% und FMC -3,4%. Fresenius -4,5% und Siemens Healtheneers -3,6%, Merck -4,4%.

KLIMASCHUTZ

Die Grünen sind die größten Gewinner der Europawahl. Greta Thunberg hat das Thema Klimaschutz als oberste Priorität der Jugend platziert und entsprechende Probleme zeigen sich nun bei Unternehmen, die in der Wahrnehmung der Anleger nicht gerade "grün" sind. Allen voran natürlich die Plastik-Produzenten der Chemiebranche, die diese Woche durchschnittlich -3,4% abgegeben haben: BASF -3,6%, BASF -2,2%, Eevonik -7,3% und Linke -3,6%. Covestro -4,6%, Brenntag -4,5% und Lanxess -5,5%.

Wir haben derzeit für zwei Wochen den Hund meiner Mutter zur Pflege, weil meine Mutter reisen möchte :-). Wir haben, umweltbewusst wie wir gerne sein möchten, Tüten für den Hundekot geholt, die biologisch abbaubar sind. Die Tüten waren sauteuer, aber das ist einem die Umwelt wert, oder? Nun, wir haben ein wenig gegoogelt und mussten eine Reihe von Berichten finden, die solche Hundekotbeutel als höchst bedenklich bewerten: der einzig wirkliche Umweltschutz sei durch Beutel aus Recycling-Kunststoff möglich, das biologisch abbaubare Plastik benötige noch immer viel zu lange, um abgebaut zu werden. Also alles nur ein Marketinggag?

BREXIT

Nun, die Gefahr eines harten Brexits steigt von Tag zu Tag und entsprechend werden die Konjunkturerwartungen gedämpft. Der Brexit hat einen ähnlichen Effekt wie der Handelsstreit, die betroffenen Unternehmen sind weitgehend die gleichen. Letzte Woche habe ich ein einzelnes Unternehmen als besonders Brexit-gefährdet vorgestellt.

HUAWEI

Neben den Handelsstreit ist Huawei ein besonderer Fall, weil das Setzen von Huawei auf eine Schwarze Liste durch Präsident Trump ein Instrument ist, das bislang noch nicht so plump angewendet wurde.

Seltene Erden (siehe oben) und Huawei lasten auf dem gesamten Technologiesektor, egal wie stark einzelne Unternehmen mit China vernetzt sind oder wie groß die Abhängigkeit von Seltenen Erden sein mag. Natürlich ist in diesem Zusammenhang nun Apple der große, weiße Elefant im Raum: Apple produziert in China als auch in den USA, Apple verkauft sowohl in China als auch in den USA. Wer bestraft wen, wenn Apple in den Handelsstreit gezogen wird?

Doch allein dieser weiße Elefant sorgt dafür, dass auch Technologietitel, insbesondere die Halbleiterindustrie in Deutschland unter Druck sind. Durchschnittlich hat der Technologiesektor in der abgelaufenen Woche -3,1% verloren. Darunter Cloud-Unternehmen Bechtle -7,8%, Cancom -6,5%, Software AG -5,6% und SAP -2,6%. Aber auch Silizium-Verarbeiter Siltronic -7% und Ligistik-IT Delivery Hero -5,1% bis hin zu Glasfaserverleger Adva -5,1%.

FAZIT

US-Präsident Donald Trump ist unberechenbar. CEO von Agco (Mutter von Fendt Traktoren) Martin Richenhagen hat in einem Interview gesagt, dass er Trump für nicht sehr intelligent halte. Richenhagen gehörte zum erweiterten Beraterkreis von Trump, als Außenminister Rex Tillerson aktiv war. Trump feuerte Tillerson, ich hatte diese Aktion damals als ziemlich schlecht gebrandmarkt, weil ich Tillerson für recht gut hielt (ehemaliger Exxon-CEO). Richenhagen ist ein Freund von Tillerson und in Folge seiner Entlassung legte er auch sein Beratungsmandat nieder.

Im Interview sagte er süffisant, in der Politik gebe es genau wie in der Wirtschaft mal bessere und mal schlechtere Führungskräfte. Trump gehöre zu den schlechten, denn seine ziemlich platte Masche, Themen populistisch in der Öffentlichkeit zu platzieren, sei keine Strategie sondern Spiegelbild seiner beschränkten Auffassungsgabe. Auch in kleinen Gesprächsrunden hinter verschlossenen Türen könne er nicht zuhören und verbreite immer nur dieselben populistischen Plattitüden.

So hat sich heute die Stimmung gegenüber Donald Trump nochmals verschärft. Insbesondere seine Mexiko-Aktion stößt nun auch bei einigen, die ihn bislang unterstützt haben, auf Unverständnis. Mexiko mit einem Strafzoll zu belegen, weil das Land nichts gegen illegale Einwanderer unternehme, sei eine unzulässige Verknüpfung politischer mit wirtschaftlichen Probleme.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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