Alt 22.09.18, 12:09
Standard So tickt die Börse: Handelsstreit belastet Einzelhandel, nicht aber Konjunktur
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Einmal mehr habe ich in dieser Woche den Eindruck, die Finanzpresse hat keine Ahnung, was derzeit an den Aktienmärkten los ist. Die vermeintliche Eskalation des Handelsstreits zwischen China und den USA wird bis zum Erbrechen thematisiert. Anschließend stellt man kopfschüttelnd, fest, dass die Aktienmärkte "trotzdem" steigen.

In Wirklichkeit hat Donald Trump seine Drohung nur schrittweise wahr gemacht: Der Strafzoll auf chinesische Waren im Volumen von 200 Mrd. USD beträgt im ersten Schritt "nur" 10%. Erst im Januar soll dieser Satz auf 25% steigen, wenn bis dahin keine Einigung mit den Chinesen erzielt wurde.

Die Aktienmärkte ziehen an, weil man über die viermonatige Verzögerung der Einführung der 25% erfreut ist. An dieser Freude ändert auch die nachgeschobene Drohung Trumps, auf die verbleibenden 250 Mrd. USD Handelsvolumen zwischen China und den USA auch noch einen Strafzoll zu legen, nichts.

Die Erleichterung ist insbesondere bei den Industrieunternehmen zu sehen, die ein starkes Geschäft in China haben: Caterpillar legte in dieser Woche um 6,2% zu, United Technologies um 3,8% und 3M um 3,0%.

In Deutschland konnte insbesondere die Autoindustrie profitieren. Zum einen wurden die Entwicklungen auch hier als eine Entspannung gewertet. Zum anderen wurden Rekordabsatzzahlen für den Monat August vermeldet. Insbesondere VW konnte den Absatz in Europa gegenüber dem Vorjahr um 21% steigern.

Unsere Autobauer notieren diese Woche dick im Plus: VW +7,9%, Daimler +5% und BMW +3,8%. Wenn mehr Autos in Europa verkauft werden, müssen auch mehr gebaut werden. Also kann sich auch der Anlagenbauer Dürr freuen, die Aktie hat diese Woche um 8,1% zugelegt. Und auch Leoni, das die Kabelstränge für die Autos mit Verbrennungsmotor liefert, wird hochgejubelt: +8%.

Dabei wird vergessen, dass seit dem 1. September ein neuer, härterer Abgastest für Europa gilt. Viele Autobauer haben da schnell noch ein paar Autos nach alter Abgasnorm verschleudert. Ich gehe davon aus, dass gerade VW schon für den September eine deutlich andere Absatzzahl vermelden wird.

Für die Autos braucht man Stahl. ThyssenKrupp (+8,2%), Salzgitter (+11,9%) und Kloeckner (+5,3%) zogen diese Woche den Rohstoffsektor mit nach oben. Auch der Anbieter von Kupfer, Aurubis (+7%) und der Anbieter von recyceltem Aluminium, Befass (+7,1%) profitierten von den guten Auto-Absatzzahlen.

Industrieaktien sind ebenfalls kräftig angestiegen. Hier zieht zwar Deutz mit +12,5% die Branche nach oben - das Unternehmen hat eine Prognoseanhebung ausgegeben, weil ein Streik vermieden werden konnte - aber der gesamte Industriesektor scheint von der aktuellen Entwicklung zu profitieren (+1,8%). Noch besser ist die steigende Zuversicht bei unseren Chemieaktien zu sehen, die um 2,9% zulegen konnten.

Ich werte das als Zeichen dafür, dass man dem alles dominierenden Handelsstreit nicht die Durchschlagskraft zuspricht, die globale Konjunktur zu belasten.

Und dann sind da noch die Banken: Deutsche Bank +7,2%, Commerzbank +8,5%! Zinsen steigen. Sowohl am kurzen als auch am langen Ende geht der Zins nach oben. Und, was für die Banken vorteilhaft ist, die langfristigen Zinsen steigen schneller, die Zinsdifferenz (Zinsspread) zwischen kurz- und langfristigen Zinsen wird größer. Genau an dieser Zinsdifferenz verdienen Banken. Sie leihen Geld langfristig aus und refinanzieren sich kontinuierlich am kurzfristigen Markt.

Nächste Woche (26.9.) wird die US-Notenbank vermutlich den US-Leitzins von aktuell 1,75-2,00% auf 2-2,25% anheben. Für Europa ist der erste Zinsschritt erst für die zweite Hälfte 2019 zu erwarten, dennoch steigen auch hierzulande die Marktzinsen bereits jetzt an. Diese Woche hat der Bund für die Ausgabe von 10 Jahre laufenden Bundesanleihen 0,49% Zinsen anbieten müssen, vor einem Monat waren es noch 0,33%.

Unter die Räder gerieten diese Woche Tech-Aktien (-1,1%), der Einzelhandel (-2,4%) sowie der Gesundheitssektor (-2,0%). Der Abschlag im Tech-Sektor ist schnell erklärt: Wenn zyklische Industrieaktien aufgrund schwindender Konjunktursorgen anziehen, dann braucht man die nicht-zyklischen Tech-Aktien nicht mehr so dringend. Erfahrungsgemäß ziehen Industrieaktien in guten Zeiten überproportional stark an. Mit dem gleichen Argument lassen sich auch die Gesundheitsaktien erklären, die natürlich immer im konjunkturellen Abschwung gefragt sind, nicht aber bei guter Konjunkturlage.

Im Einzelhandel zeigt sich, dass der Handelsstreit zwar in den Hintergrund tritt, aber nicht vergessen ist. Anleger sprechen dem Handelsstreit also die Gefahr ab, die globale Konjunktur maßgeblich negativ zu beeinflussen. Doch das bedeutet nicht, dass nicht viele Einzelhändler vielleicht chinesische Produkte teurer importieren müssen und daher Druck auf ihre Margen verspüren werden.

Witzig, oder? Ich habe mir in den Sommermonaten ein Modell erstellt, mit dem ich die Branchen unserer 160 Unternehmen, die der DAX-Familie (DAX, MDAX, SDAX) angehören, gut im Überblick habe. Und dieser Überblick eröffnet doch schnell, dass viele Kursbewegungen hauptsächlich durch Branchenentwicklungen beeinflusst sind.

Natürlich gibt es auch einzelne Ausreißer: Zalando (-15,5%) hat eine Gewinnwarnung ausgegeben und sich über den zu heißen Sommer beschwert. Ein vorübergehendes Phänomen, wie ich meine, denn der mittelfristige Wachstumspfad ist nicht gefährdet.

Auch Nemetschek brach diese Woche ein (-14,4%). Der Anbieter von Bau-Software war in den vergangenen 10 Wochen um 50% angesprungen. Ein Analyst von Berenberg hat nun gesagt, das ist richtig: Die Aktie verdient es, bei 125 Euro zu notieren... doch da stand die Aktie bereits bei 150 Euro. Nun wurde ein Teil es Kurssprungs wieder abgegeben.

Ein ähnliches Schicksal hat Evotec, den Entwickler von Wirkstoffen für die Pharma-Industrie, ereilt. Nach +50% in 10 Wochen folgte nun der Rückschlag. Evotec und Nemetschek sind neu im MDAX und Fonds mussten die Aktien in den vergangenen Wochen zukaufen. Diese Nachfrage ist nun beendet, die Aktien werden wieder ein normales Kursniveau finden.

SMA Solar ist um 9,6% angesprungen: Das Unternehmen ist aus dem TecDAX geflogen, notiert aber weiterhin im SDAX. Dennoch wurde die Aktie von TecDAX-Fonds ausverkauft, seit Juni beträgt der Kursverlust über 50%. Nun sind Gerüchte aufgekommen, die Mehrheitseigner könnten die Aktie von der Börse nehmen, also privatisieren. Dazu müssten die verbleibenden Aktien im Streubesitz zurückgekauft werden. Dazu wären 150-200 Mio. Euro notwendig, SMA Solarverfügt derzeit über 390 Mio. Euro Barliquidität und könnte somit eine Privatisierung aus eigenen Mitteln stemmen.

Soweit ein paar Infos zum aktuellen Börsengeschehen. Schauen wir uns nun einmal die wichtigsten Indizes im Wochenvergleich an:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


INDIZES (20.09.2018) Woche Δ Σ '18 Δ

Dow Jones 26.657 2,0% 7,4%
DAX 12.326 2,2% -4,6%
Nikkei 23.675 2,5% 4,0%
Shanghai A 2.858 1,6% -17,5%
Euro/US-Dollar 1,18 0,7% -1,8%
Euro/Yen 132,85 1,4% -1,6%
10-Jahres-US-Anleihe 3,08% 0,12 0,65
Umlaufrendite Dt 0,30% 0,05 0,02
Feinunze Gold $1.209 0,3% -7,2%
Fass Brent Öl $78,69 0,9% 18,2%
Kupfer 6.056 2,8% -15,4%
Baltic Dry Shipping 1.396 1,0% 2,2%
Bitcoin 6.469 -0,4% -53,5%



Während der DAX mit seinem Plus von 2,2% gerade mal die nervenzehrende Korrektur der vergangenen Monate beendet, stürmt der Dow Jones mit +2,0% schon wieder auf ein neues Allzeithoch. Für mich ist deutlich erkennbar, dass US-Präsident Donald Trump seine Mitbürger auf eine schmerzhafte Auseinandersetzung mit den Chinesen einstellt.

Entsprechend ist auch der Shanghai Index mit +1,6% nur verhalten zurückgesprungen, das Jahresminus beträgt in China noch immer 17,5% während der Dow Jones um 7,4% steigen konnte.

Schwere Zeiten also für die USA? Der US-Dollar hat gegenüber dem Euro Federn gelassen, der Euro ist auf 1,18 (+0,7%) gestiegen. Die Euro-Stärke ist jedoch auch der Beruhigung in der Türkei-Kreise zuzuschreiben, die zuvor den Euro stark belastet hat.

In den USA ist die Rendite der 10 Jahre laufenden Staatsanleihe über die 3%-Hürde gesprungen - mal wieder. Doch dieses Mal erfolgte der Sprung ohne jegliches Geschrei oder Medieninteresse, die Hürde wurde still und leise einfach übersprungen. Wie oben bereits ausgeführt ist das bullisch für die Banken.

Öl und Kupfer sind angestiegen und spiegeln die gestiegene konjunkturelle Zuversicht wider. Auch der Baltic Dry Verschiffungsindex hat seinen Abwärtstrend beendet, denn nun sind die Fälle in Kraft getreten, die Hamsterkäufe sind beendet und eine neue Normalität pendelt sich ein.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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