Alt 03.03.12, 13:00
Standard So tickt die Börse: Zwölf schwere Börsenjahre
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Mitte Dezember ist Angela Merkel aufgewacht. Von ihrer Strategie des Trostpflasters und der Verschiebungstaktik schwenkte sie über Nacht um auf den harten Kurs der Realität: Eine Fiskalunion muss die Richtung sein, in die sich die EU entwickelt. Ich habe diesen Stimmungswechsel hier im Heibel-Ticker umgehend und seither vielfach als richtungsweisend für die Finanzmärkte herausgestellt, und tatsächlich haben sich die internationalen Börsen seither nicht mehr umgeschaut – es ging steil nach oben.

Kurz danach hatte der neue EZB Chef Mario Draghi seine LTRO (Long Term Refinancing Operation – langfristige Refinanzierungsoperation) bekanntgegeben und ermöglichte es Banken, sich unbeschränkt zu günstigen Konditionen auf drei Jahre zu refinanzieren. Die unmittelbare Folge von der ersten Runde im Dezember war das Austrocknen von Verkaufsorders an den Börsen. Banken waren nicht mehr gezwungen, ihre Aktienbestände zugunsten einer Aufstockung des Eigenkapitals zu verscherbeln, und so begannen die Kurse zu steigen.

Diese Woche gab es die zweite und letzte LTRO-Runde. Erneut wurde eine halbe Billion Euro an Krediten aufgenommen. Kapital, das nicht unmittelbar in die Wirtschaft fließen wird, aber Kapital, das die angespannten Bilanzen vieler Finanzinstitute aufbessern wird und dadurch eine Normalisierung der Kapitalmärkte mit anschließend ansteigender Kreditvergabe zur Folge haben wird.

Mitte September stand der DAX unter 5.000 Punkte. Euroland war am auseinanderbrechen, insbesondere da es zu diesem Zeitpunkt keinen Politiker gab, der sich des Ernstes der Lage bewusst schien. Heute steht der DAX 2.000 Punkte (40%!) höher, und 25 der 27 EU-Länder haben sich soeben einer härteren Schuldenkontrolle verschrieben. Schuldenbremse, automatische Defizit-Verfahren und die Notwendigkeit einer Mehrheit, um ein solches Verfahren zu stoppen. Sensationell!

Sensationell! Ich muss ehrlich gestehen, dass ich eine solche Wendung nicht mehr erwartet hatte. Sie werden sich daran erinnern, wie ich im vergangenen Herbst gewettert habe wie ein Rohrspatz, weil diese so offensichtlich sinnvollen Ziele so unerreichbar schienen.

So sind wir heute wieder in der Lage, gute Meldungen mit Kursanstiegen zu begrüßen und schlechte Meldungen mit einem Ausverkauf.

Diese Woche hat Aixtron schlechte Zahlen geliefert. Nichts Überraschendes, wie Sie in meinem TV-Interview vom Vortag nachlesen können, aber dennoch war es ein Augenblick der ungeschminkten Realität für Aixtron-Aktionäre, die klipp und klar gesagt bekamen, dass die Bodenbildung in der Branche noch lange andauern werde. Im Jahr 2012 dürfe man, wie bereits mehrfach angekündigt, nicht mit einer Besserung rechnen.

Aixtron fiel um 15%, um sich anschließend wieder in Richtung der 13 Euro zu bewegen, die ich bereits im vergangenen Sommer als fairen Wert ermittelt hatte.

Heute hat SMA Solar bekannt gegeben, dass der Umsatz im laufenden Jahr tatsächlich aufgrund der Beschleunigung der beschleunigten Solarförderkürzung dramatisch einbrechen werde und dass dieser Einbruch nachhaltig sei. Das Unternehmen müsse 100 Mio. Euro investieren, um das Auslandsgeschäft auszubauen, um dadurch gegebenenfalls zu einem späteren, noch nicht genau terminierten Zeitpunkt wieder auf den Wachstumspfad zurückzukehren.

SMA Solar steht aktuell mit 4,5% im Minus, doch hier fürchte ich noch eine Fortsetzung des Abwärtstrends in den nächsten Tagen.

Gleichzeitig überlegt die Bundesregierung, die Energiewende statt mit Fördermitteln lieber doch durch (für die Regierung kostenfreie) Vorschriften zu erzwingen. Wir haben einen Wert in unserer Beobachtungsliste, der von dieser Entwicklung profitiert – egal ob das Geld aus Fördertöpfen kommt oder aus dem Portemonnaie der Hauseigentümer. Die Aktie sprang diese Woche um 10% an.

Apple hat die 500 Mrd. US-Dollargrenze an Marktkapitalisierung überschritten. Der Nasdaq war am Mittwoch für einige Sekunden über die 3.000 Punkte Marke gesprungen. Es folgte eine Rede von Ben Bernanke, in der er sich NICHT eindeutig zu einer dritten Runde der Liquiditätsflutung bekannte (QE3). Nach den heftigen Kursgewinnen seit Mitte Dezember ist es da kein Wunder, wenn Anleger dies zum Anlass nehmen, einige Gewinne zu realisieren.

Seit November 2000 notierte der Nasdaq nicht mehr über 3.000 Punkten. Sie erinnern sich: Die Internetblase hatte den Index Anfang 2000 sogar über 5.000 Punkte katapultiert, um in den folgenden zwölf Monaten auf 1.200 Punkte einzubrechen. Von diesem Schock hat sich eine ganze Anlegergeneration nicht erholen können. Erst heute, zwölf Jahre später, nimmt der Nasdaq wieder Anlauf, um die erlittenen Verluste vielleicht irgendwann wieder auszugleichen.

Ja, zwölf Jahre ist das her. Ich hatte damals geschrieben (ja, so lange schreibt Ihr Börsenschreibel schon Börsenbriefe), dass wir uns auf eine schwere Dekade für die Börse einstellen müssen. Nun, es sind zwölf Jahre geworden ... und die vielen Probleme unserer Welt und Finanzbranche sind in aller Munde.

Doch eine negative Stimmungslage ist eigentlich etwas Positives. Die Probleme sind bekannt, und seit vergangenem Dezember gibt es sogar brauchbare politische Reaktionen. Ich habe mir daher einmal wieder alte Werte angeschaut. Dinge, die in den Neunzigern analysiert wurden, um sich über den „Gesundheitszustand“ der Aktienbörse zu informieren.

Bewegen sich die Aktienkurse mit der Masse oder können individuelle Meldungen auch individuelle Kursreaktionen hervorrufen? Nun, wie oben gezeigt, gibt es wieder individuelle Reaktionen auf Meldungen, was als gesund betrachtet wird.

Gibt es einen Leithammel? Nun, an der Nasdaq ist das wohl eindeutig Apple. Die Aktie kriecht kontinuierlich höher und höher. Kurzzeitige Rückschläge werden sofort zum Kaufen genutzt, und die Aktie läuft wieder über ihr voriges Allzeithoch hinaus. Wäre Apple ein Unternehmen mit nur 50 Mrd. Marktkapitalisierung, dann hätte die Aktie wohl über Nacht einen Sprung von 50% gemacht (auf 450 Euro). Als größtes börsennotiertes Unternehmen der Welt braucht es einige Monate, bis dieser Sprung vollzogen ist.

Übrigens ein weiterer Schlag ins Gesicht der volkswirtschaftlichen Annahme der perfekten Märkte an den Börsen.

Steigen viele Aktien verschiedener Branchen an oder handelt es sich nur um eine kleine Randgruppe, die davonzieht? Nun, neben der Techbranche mit SAP, Apple, Salesforce.com und EMC hat auch die Finanzbranche wieder das Laufen gelernt. Schauen Sie sich mal die Erholung bei der Deutschen Bank und der Commerzbank an. Selbiges ist auch bei den meisten europäischen Wettbewerbern zu sehen.

An die guten Meldungen aus der Automobilbranche haben wir uns schon gewöhnt. Dort werden eine ganze Reihe von Zulieferern mitgezogen, was Zulieferer wie Leoni, Continental, Elringklinger, Bertrandt und Fuchs Petrolub zu deutlichen Kursanstiegen verholfen hat.

Und wissen Sie, was noch bullisch ist? Unternehmen wie die Deutsche Telekom, E.On, Fresenius Medical Care und Metro stehen am unteren Ende der Performanceliste der vergangenen Monate. Unternehmen, die über ein „reifes“ Geschäftsmodell verfügen und ihre Kunden melken, um eine ordentliche Dividende auszahlen zu können, werden ausverkauft. Anleger verlassen diese vermeintlich sicheren Häfen um sich den risikobehafteten Chancen der Wachstumsunternehmen zuzuwenden. Das ist gesund!

Gibt es denn noch genug Liquidität, um diese Rallye weiterlaufen zu lassen? Nun, ich würde sagen, dass der Abschied aus den wachstumsarmen und dividendenstarken Titeln erst der erste Schritt ist, Liquidität in Wachstumstitel zu steuern. Der zweite Schritt wird sein, dass Kapital von den unattraktiven Staatsanleihen abgezogen wird. Wer will sich denn schon mit 1,5% pro Jahr Zinsen zufrieden geben, wenn viele Aktien so einen Sprung an einem Tag machen? Da ist noch eine Menge Kapital, das an die Aktienbörse strömen kann.

Zwölf Jahre hält der Trend nun an, dass Kapital aus dem Aktienmarkt in den Rentenmarkt umgeschichtet wird. Dieser Trend dürfte meines Erachtens bald zum Erliegen kommen und sich bald darauf umkehren.

Und last but not least: Ist die EZB auf der Seite der Anleger oder nicht? Ein Leitzins von über 4% wird einer restriktiven Geldpolitik zugeschrieben, darunter gilt sie als locker. Eine lockere Geldpolitik ist bullisch für die Aktienmärkte.

Unser Leitzins steht bei 1%, also so niedrig wie noch nie. Darüber hinaus hat die EZB diese Woche nochmals eine halbe Billion an günstigen Krediten in den Markt gegeben (LTRO).

Wundern Sie sich also bitte nicht, dass die Aktienkurse steigen. Wir haben hier einige sehr kräftige Trends am Werk, die nicht von heute auf morgen abreißen. Klar, eine militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und dem Iran würde die Kurse in den Keller reißen – doch nur kurzfristig und als Kaufgelegenheit. Die Trends würden dadurch nicht umgekehrt.

Und nach 40% Kursplus im DAX binnen sechs Monaten würde es auch reichen, wenn Angela Merkel einmal wieder mit dem falschen Fuß aufsteht und Abstriche bei der Umsetzung der Fiskalunion zulässt. Doch der Gesundheitszustand der Finanzmärkte ist heute so gut wie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr.

Auch wir im Heibel-Ticker bekommen ein Problem auf hohem Niveau, an das sich viele von uns sicher kaum noch erinnern können: Man kann derzeit kaum die falsche Aktie kaufen, man kann höchstens zu lange warten, bis man sich für einen Kauf entscheidet und läuft in dieser Zeit Gefahr, dass der Kurs wegläuft. Wann haben Sie zuletzt dieses Problem gehabt?

Der Markt gibt Ihnen eine Chance, Fehler zu korrigieren. Anders als im August 2011, als Sie nach einem Kauf nur jeden Tag zusehen konnten, wie das Minus größer wurde. Heute, im Jahr 2012, kann es passieren, dass Ihre Aktie nicht mitläuft – und dann verkaufen Sie halt und schichten um, meist ohne nennenswerte Verluste.

7.000 DAX-Punkte sind in Reichweite, und wenn ich mich umhöre, dann bekomme ich den Eindruck, dass viele Anleger auf dieses Niveau warten um diesmal nicht mehr den gleichen Fehler zu machen wie schon Anfang 2000 und nochmals im Jahr 2007 und nochmals Ende 2010: Jeweils war der DAX über 7.000 Punkte geklettert, um wenige Monate später dramatisch einzubrechen und alle Kursgewinne auszuradieren.

Irgendwann hat es auch der Letzte gelernt, dass die Börse keine Einbahnstraße ist und nimmt Gewinne mit, steckt sie für sein Altenteil in Staatsanleihen. Und genau das ist der Nährboden für eine anhaltende Rallye. Optimisten werden an der Börse derzeit als Irre abgetan.

Also: Aus längerfristiger Perspektive sind die Aktienmärkte derzeit gesund. Rückschläge, die nach 10 Wochen kontinuierlicher Kursgewinne immer passieren können, sollten also zum Kaufen genutzt werden.

Ich denke, diese Erkenntnis wird im Frühjahr auch bei den anderen Marktteilnehmern dämmern, sodass es, wie meistens, im Sommer zu einer Verschnaufpause kommen kann. Für unsere Beobachtungsliste werden wir also in den kommenden Wochen vorzugsweise sehr kurzfristige Spekulationen eingehen, um dann im Sommer ausreichend Liquidität für strategische Käufe zu haben.

Schauen wir einmal, wie sich die einzelnen Indizes diese Woche entwickelt haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (01.03.2012) | DIFF

Dow Jones: 12.980 | 0,0%
DAX: 6.942 | 1,9%
Nikkei: 9.777 | 1,3%
Euro/US-Dollar: 1,328 | -0,7%
Euro/Yen: 108,3325 | 0,5%
10-Jahres-US-Anleihe: 2,04% | 0,1
Umlaufrendite Dt: 1,49% | -0,1
Feinunze Gold USD: $1.714,90 | -3,6%
Fass Brent Öl USD: $127,04 | 2,5%
Kupfer in US$/to: 8.632 | 3,2%
Baltic Dry Shipping I: 763 | 8,1%



Der Goldpreis ist eingebrochen. „Schuld“ daran war Ben Bernanke mit seiner Ansprache in Washington.

Öl und Kupfer hingegen sind weiter auf dem aufsteigenden Ast. Beim Öl sorgen die Spannungen zwischen Israel und dem Iran weiterhin für diesen Trend. Das Kupfer bewegt sich noch immer im Rahmen einer breiten Seitwärts-Handelsspanne und zeigt damit noch keinen signifikanten Ausbruch nach oben an.

Schauen wir einmal, wie sich die Stimmung unter Anlegern und Analysten entwickelt:

SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
10.02.- 17.02. (302): 48% / 11%
17.02.- 24.02. (251): 49% / 9%
24.02.- 02.03. (215): 42% / 12%

Kaufempfehlungen der Analysten
Volkswagen VZ, BASF, Gerry Weber

Verkaufsempfehlungen der Analysten
Bouygues S.A., Nordex, Praktiker

Privatanleger
07. KW: 70% Bullen (130 Stimmen)
08. KW: 67% Bullen (131 Stimmen)
09. KW: 70% Bullen (134 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Alcatel-Lucent, Vivendi, Ipsen

Verkaufsempfehlungen der Privatanleger
Q-Cells, Broadvision, Veolia Environment


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel


Sie wollen wissen, was die Analysten im Einzelnen für Aussagen treffen und wo sie die größten Chancen sehen? Ich habe für Sie ab sofort jede Woche eine Übersicht der Analysen mit den höchsten Kurszielen ausgearbeitet. Die Liste zeigt ganz einfach an, wo das aktuelle Kursziel des Analysten prozentual am meisten über dem aktuellen Kurs liegt:

Firma | Analyse vom | Kurs | Ziel | Upside

MORPHOSYS | 01.03. | 18,25€ | 35,00€ | +91,78%
GFT TECHN | 01.03. | 03,17€ | 05,00€ | +57,73%
COMMERZBK | 28.02. | 01,97€ | 02,80€ | +42,13%
ADIDAS AG | 29.02. | 46,80€ | 66,00€ | +41,03%
Kabel Dt. | 28.02. | 45,01€ | 63,00€ | +39,97%
XING AG | 02.03. | 49,37€ | 68,00€ | +37,74%
FREENET | 01.03. | 10,18€ | 14,00€ | +37,52%
K&S AG | 29.02. | 37,13€ | 50,00€ | +34,66%



Es handelt sich um Analysen aus dieser Woche. Bitte genießen Sie diese Übersicht mit Vorsicht. Sie wissen ja, dass häufig auch ein Eigeninteresse des Analysten für eine rosa Brille sorgen kann, weshalb Analysteneinschätzungen tendenziell optimistischer ausfallen als es die Realität anschließend erlauben würde. Aber die Übersicht gibt einen Eindruck darüber, wo die Erwartungen mit dem aktuellen Kurs am weitesten auseinander liegen. Wer letztlich Recht haben wird, der Analyst oder die Anleger, die den Kurs machen, ist in jedem Einzelfall individuell zu beurteilen.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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