Alt 01.09.19, 20:37
Standard So tickt die Börse: Alte Börsenweisheiten stimmen nicht mehr
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Hier im Heibel-Ticker unterscheiden wir penibel zwischen vermeintlichen Wahrheiten und Erfahrungswerten. Diese Woche ist die Zinsdifferenz zwischen einer 10 und 2 Jahre laufenden US-Staatsanleihe tatsächlich ins Minus gerutscht. In der Vergangenheit war das bislang ein sicherer Indikator für eine anstehende Rezession. So gibt es viele - insbesondere institutionelle - Anleger, die aufgrund dieses Ereignisses ihre Aktienquote deutlich zurückfahren, um sich vor der Rezession zu schützen.

Tatsächlich war es so, dass jede Rezession in den vergangenen 50 Jahren durch ein entsprechendes Ereignis angekündigt wurde:

- Im September 1978 rutschte die obige Differenz ins Minus, 18 Monate später kam die Rezession.
- Juli 1980 rutschte die Differenz erneut ins Minus, die Rezession kam 15 Monate später.
- Januar 1989 war Vorbote für die Rezession im Juli 1990, auch 18 Monate Vorlauf.
- Das Minus im Februar 2000 kündigte die Rezession im März 2001 mit 13 Monaten Vorlauf an.
- Februar 2006 war das Minus bereits 23 Monate vor der Rezession.

Die USA haben also von jetzt an gerechnet noch gut bis September 2020 Zeit, um sich auf eine Rezession vorzubereiten. Es kann aber genauso gut auch noch bis Juli 2021 dauern, bis die Mahner Recht bekommen. Wenn wir uns anschauen, dass die letzte Rezession bereits 10 Jahre zurück liegt, dann ist innerhalb der kommenden zwei Jahre die Rezessionsgefahr rein empirisch ohnehin ziemlich groß. Ist es also richtig, das Aktienengagement zurückzufahren?

Ich glaube, die Vergangenheit ist kein zuverlässiger Indikator für die Zukunft. Zu oft schon haben wir in den vergangenen 10 Jahren erlebt, dass als gegeben geglaubte Zusammenhänge (Korrelationen) nicht mehr funktionieren.

Wenn der Ölpreis steigt, dann ist das ein Zeichen für eine gesunde Konjunktur und entsprechend müssten die Aktienkurse steigen, hieß es jahrzehntelang. Im Umkehrschluss hieß es, ein fallender Ölpreis sei ein Zeichen für eine Konjunkturabschwächung. Doch in der jüngeren Vergangenheit haben wir immer wieder erlebt, dass ein rückläufiger Ölpreis wie eine Art Konjunkturprogramm die Industrie stützt und somit die Konjunktur eher ankurbelt.

Hintergrund ist meiner Einschätzung nach, dass der freie Ölmarkt, auf dem sich der Preis aus Angebot und Nachfrage gebildet hat, immer politischer geworden ist: Mit ökonomisch teils nicht nachvollziehbaren Begründungen wurde die Angebotsseite künstlich beeinflusst, um politische Ziele (Auffüllen der Staatskasse, Minderung der Abhängigkeit vom Ausland, ... ) zu verfolgen. Es wurde also die Ölförderung hochgefahren, ungeachtet der zu erwartenden Nachfrageentwicklung. Ein dadurch niedrigerer Ölpreis war dann nicht mehr ein Indikator für eine Nachfrageschwäche, aus der man früher eine Abschwächung der Konjunktur ableitete, sondern nur noch das Ergebnis von Politik.

In der Volkswirtschaftslehre habe ich gelernt, dass ein hoher Wechselkurs exportorientierte Unternehmen zu Höchstleistungen motiviert (zwingt?) und daher eine gesunde Binnenkonjunktur zur Folge hat. Ein niedriger Wechselkurs ist aus dieser Perspektive nur kurzfristig vorteilhaft, solange die überlegenen Produkte günstig auf dem Weltmarkt abgesetzt werden können. Doch die Innovationskraft leidet und so wird sich im Laufe der Zeit auch ein niedriger Wechselkurs nicht mehr exportfördernd auswirken. Die USA haben über Jahrzehnte ihre Währung immer weiter abgewertet und sich dadurch immer wieder Exportvorteile geholt, so dass die Wirtschaft heute in vielen Branchen auf den Weltmärkten nicht besonders wettbewerbsfähig ist.

Dieser Zusammenhang lässt sich leicht erklären: Wenn ein Land wettbewerbsfähige Produkte hat, werden sie auf den Weltmärkten stark nachgefragt, die heimischen Unternehmen holen viel ausländisches Geld nach Hause, die Nachfrage nach der heimischen Währung steigt und so beginnt die Währung zu steigen. Das tut sie so lange, bis die Preise im Ausland nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Unternehmen müssen dann wieder innovativer werden, oder aber die Währung fällt. Angebot und Nachfrage sollten also den Wechselkurs mit Bezug zur Wirtschaft eines Landes bestimmen.

Derzeit bekommen internationale Anleger jedoch in den USA auf 10 Jahre laufende Staatsanleihen 2%, während sie in Deutschland beispielsweise 0,7% Strafzins zahlen müssen! Ja, Sie haben richtig gelesen, die in diesem Jahr ausgegebene Bundesanleihe mit einer Laufzeit von 10 Jahren wurde zu einem Zins von -0,7% platziert! Bei einer Inflation von derzeit 1,5% wird unser Geld also inzwischen mit 2,2% p.a. entwertet. In Japan und vielen anderen Industrieländern sieht es nicht viel besser aus. Da ist es eher eine Folge der Geldmärkte, dass viel Kapital in die USA strömt und den US-Dollar nach oben treibt, und nicht eine Folge der Wirtschaft.

Eine Katastrophe für die Wirtschaft könnte man nun meinen, wenn man sich die Korrelation der Vergangenheit anschaut. Doch ich gehe davon aus, dass diese Entwicklung nicht so dramatisch ist, wie von vielen erwartet: Exportunternehmen haben sich im Zuge der Globalisierung in den vergangenen Jahren immer breiter aufgestellt, Niederlassungen weltweit eröffnet und eine lokale Produktion vorangetrieben. Die Abhängigkeit vom Wechselkurs ist wesentlich geringer geworden, die Korrelation der Vergangenheit existiert nicht mehr.

Wenn also die Korrelationen von Öl und Wechselkurs nicht mehr gelten, wie sieht es dann mit dem Zinsmarkt aus? Ist das obige Minus, auch als invertierte Zinsstrukturkurve bezeichnet, also eine Folge dessen, dass Unternehmen nicht mehr investieren, keine langfristigen Kredite mehr nachfragen, weil sie Planungssicherheit vermissen? Gibt es eine Zurückhaltung bei Investitionen in die Zukunft, so dass aus dieser Untätigkeit ein Wirtschaftsabschwung folgt?

Ich glaube nein.

Die Investitionstätigkeit in Deutschland beispielsweise ist mit 713 Mrd. USD im Jahr 2018 größer gewesen als je zuvor. In den USA hat Donald Trump einen Investitionsboom durch seine Unternehmenssteuerreform ausgelöst. Wir können uns gerne darüber unterhalten, ob Investitionen, die zu 0% finanziert werden, eine ordentliche Rendite versprechen, oder aber vielleicht auch unsinnige Projekte finanziert werden. Da kennen Sie meine Kritik am zu lange gehaltenen Niedrigzinsniveau. Doch es wird investiert, und zwar nicht wenig.

Während langfristige Anleihen von internationalen Anlegern aufgekauft werden, sträubt sich der oberste US-Notenbanker Jay Powell, den kurzfristigen Zins zu senken. Die Nachfrage nach den langfristigen Papieren treibt die Kurse nach oben und dadurch die Rendite nach unten. Gleichzeitig hält der Notenbankchef das kurze Ende oben, weil er nicht den Eindruck erwecken möchte, von Trump getrieben zu sein.

Ist die invertierte Zinsstrukturkurve also ein Indikator dafür, dass die USA in 12-24 Monaten mit einer Rezession rechnen müssen? Nein. Es wird ausreichend investiert und mit Blick auf die Inflationsentwicklung hätte die US-Notenbank die kurzen Zinsen schon längst weiter senken müssen bzw. gar nicht erst so hoch schrauben dürfen.

Man sagt, die Aktienmärkte laufen der Konjunktur etwa 9 Monate voraus. Wir haben von nun an also noch mindestens drei Monate, um meine Theorie zu überprüfen. Für Panikverkäufe besteht überhaupt kein Anlass, im Gegenteil. Ich habe meinen PLUS-Kunden gestern drei Aktienkäufe empfohlen.

In diese Überlegungen passt die Entscheidung des weltweit größten Fonds, des norwegischen Staatsfonds, der über eine Billionen USD verwaltet: Man wolle die Gewichtung von europäischen Aktien in der Zukunft zugunsten von US-Aktien verringern. Während wir in Europa vermutlich im laufenden Q3 bereits in einer Rezession sind, schichtet der größte Fonds zugunsten der USA um.

NESTLE: VIEL ZU GUT FÜR DIE USA

Diese Woche war Nestle-CEO Mark Schneider in meiner Lieblings-US-TV-Show Mad money bei Jim Cramer (https://www.cnbc.com/2019/08/27/nestle-ceo-on-sustainability-plans-one-of-our-big-themes-is-recycling.html, nach unten scrollen). Jeder Gast in dieser Sendung kommt mit einer "Sensation": Entweder das Geschäft läuft hervorragend, oder aber man hat ein tolles Produkt zu zeigen, oder aber man ist besonders umweltfreundlich, oder aber man trifft sonst irgendwie den Zeitgeist.

Schneider kennt offensichtlich die Eigenart der Amis nicht, auf einer Innovation herumzureiten, bis damit die ganze Welt erobert ist. Stattdessen kam er gleich mit einer ganzen Reihe von Sensationen in die Show. So viel, dass der Gastgeber Jim Cramer, der sonst auch schon mal gerne selbst seine Begeisterung für Innovationen schreiend zum Ausdruck bringt, immer zurückhaltender wurde: Er war sichtlich überfordert von der Schweizer Innovationsflut.

Zunächst präsentierte Schneider ein Alu-Fahrrad, das auch den Nespresso-Kapseln recycelt wurde. Tolle Idee, sagte Cramer, aber wie kommt Nestle an die leeren Kapseln? Nun, ein freier Rückumschlag liege jeder verkauften Nespresso-Packung in den USA bei, antwortete Schneider. Plötzlich war es nicht nur eine tolle Idee, sondern ein bereits bestehendes System, mit dem die US-Amerikaner umweltbewusster werden.

Dann kam das Hype-Thema der USA zur Sprache: Veggie-Burger: Nestle hat ebenfalls einen fleischlosen Burger, den Incredible-Burger in Europa, der nun unter dem Namen Awesome-Burger in die USA kommt. Auf die Frage, wie er denn feststellen könne, ob der Burger überhaupt schmeckt, lud Schneider ihn ohne Umschweife zu einem entsprechenden Wettbewerb gegen alle anderen Veggie-Burger ein. Cramer war sprachlos, so wettbewerbsorientiert hatte er die Schweizer nicht eingeschätzt.

Das letzte Thema des Gesprächs war die Verpackung: Was tut Nestle, um die Kosten zu senken und hat es dabei die Umwelt im Blick? Nun, Schneider teilte mit, dass Nestle eine eigene Firme gegründet habe, die sich mit dem Thema beschäftige: Umweltfreundliche Verpackungen ohne Plastik. Warum mit einer eigenen Firma? Weil die am Markt bestehenden Branchenführer der Verpackungsindustrie keine entsprechenden Innovationen hervorbringen würden, so Schneider.

Das war ein Seitenhieb auf Unternehmen wie Amcor, die mit hoher Dividendenrendite seit langem diese Nische besetzen und verteidigen.

Nestle ist in den vergangenen 12 Monaten um fast 50% angesprungen. Günstig war die Aktie noch nie, aber sie hat bislang noch keinen Anleger enttäuscht. Die Schweizer haben weiterhin ihr Ohr am Markt und sind bestens vorbereitet auf den Wandel im Markt.

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES


INDIZES (29.08.2019) Woche Δ Σ '19 Δ

Dow Jones 26.403 2,6% 14,5%
DAX 11.918 2,6% 12,9%
Nikkei 20.704 0,0% 3,4%
Shanghai A 3.024 -0,4% 15,8%
Euro/US-Dollar 1,10 -1,1% -3,8%
Euro/Yen 116,83 -0,5% -7,4%
10-Jahres-US-Anleihe 1,51% 0,00 -1,23
Umlaufrendite Dt -0,69% -0,07 -0,79
Feinunze Gold $1.530 0,2% 19,4%
Fass Brent Öl $60,36 2,5% 15,6%
Kupfer 5.652 -0,8% -6,1%
Baltic Dry Shipping 2.277 7,5% 79,2%
Bitcoin 9.487 -6,5% 141,9%
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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