Alt 24.02.12, 18:53
Standard So tickt die Börse: Von Kapitalströmen und Öltankern
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Hey, ich kann auf meine Standardeinleitung verzichten: Das zweite Hilfspaket für Griechenland ist in trockenen Tüchern. Das Hilfspaket. Wenn Sie nach Griechenland fragen, dann erwarten die meisten Marktteilnehmer, dass das Drama bereits in diesem Jahr weitergehen wird.

STARKER EURO

Heute können wir uns aber anderen Themen zuwenden. Zum Beispiel dem steigenden Ölpreis (+2,8% auf 123,90 USD/Fass) oder dem steigenden Euro (+1,8% auf 1,34 USD/EUR). Wenn das Griechenlandpaket nicht hilft, wie von vielen erwartet, dann sollte die Welt doch, angeführt von Europa, untergehen. Oder? Warum also steigt der Ölpreis, und warum strömt Geld nach Europa?

Letzteres ist einfach, ersteres ist interessant. Beginnen wir mit dem Einfachen: Die Welt hat nunmehr gesehen, dass Europa tatsächlich, so wie seit Monaten und Jahren behauptet, zu seinen Mitgliedern steht und Griechenland nicht fallen lässt. Das schafft Vertrauen in den Euro, und noch immer gibt es attraktive Renditen bei europäischen Staatsanleihen.

Mit einem Schuldenschnitt, freiwillig oder nicht, ist bei Italien oder Spanien derzeit nicht zu rechnen, denn diese beiden Länder verfügen über ausreichend Kapazitäten, sich selbst aus dem Schlamassel zu helfen. Die Gefahr des Auseinanderbrechens ist vorerst gebannt, und so gibt es weltweit eine Menge Anleger, die ihr Kapital nun wieder in die attraktive Verzinsung europäischer Staatsanleihen umlenken.

Und bevor ein Araber oder Amerikaner Euro-Staatsanleihen kaufen kann, muss er sich Euro beschaffen. Das treibt den Euro-Kurs in die Höhe. Mit dem Überwinden der 1,32 USD/EUR-Schwelle gibt es nun Platz bis 1,37 USD/EUR.

Das Ende des „schwachen“ Euros beflügelt zugleich die US-Wirtschaft, und so dürfte der Dow Jones in den kommenden Wochen im Vergleich zum DAX recht gut laufen.

Doch kommen wir zum Ölpreis, hier gibt es tatsächlich interessante Entwicklungen.

BILLIGE ÖLTANKERMIETEN

Die Euro-Schuldenkrise hat die Entwicklungen im Iran in den Hintergrund gedrängt. Doch die dortigen Entwicklungen sind nicht minder dramatisch. Der Iran hat inzwischen die Atomkontrolleure wieder aus dem Land geworfen. Die Öllieferungen an England und Frankreich wurden eingestellt, man hat andere Abnehmer gefunden. Und die Rhetorik gegenüber dem ewigen (aus iranischer Sicht) Fremdkörper in der arabischen Welt, Israel, wird wieder schärfer.

So ist das Waffengerassel zwischen Israel und dem Iran schon wieder auf einem hohen Niveau. Israel droht, was das Zeug hält: Man werde die Atomanlagen im Iran ausschalten. Und ausgerechnet die USA fallen Israel in den Rücken und sagen, dass das Land dazu militärisch gar nicht in der Lage sei.

Derweil entwickelt der Iran eifrig seine Atombombe weiter.

Fragen darüber, ob es einen „richtigen Krieg“ überhaupt geben kann, oder ob die Welt überhaupt das Recht hat, einem Land Atomwaffen zu untersagen, können wir hier im Heibel-Ticker nicht erschöpfend diskutieren. Wir können aber darüber nachdenken, was wäre wenn...

...denn ich gehe davon aus, dass die Spannungen zwischen dem Iran und Israel noch einige Wochen, wenn nicht Monate bestehen bleiben. Und in dieser Zeit wird ein Krieg stets eine Option sein, die immer wieder zur Sprache kommt.

Im Falle eines Krieges würde der Iran vermutlich seine Drohung wahr machen, die Straße von Hormus zu blockieren, durch die viele arabische Öllieferungen fahren müssen, um die westliche Welt zu erreichen.

Die USA haben zwar angekündigt, dies nicht zuzulassen, doch würde schon eine kurze Unterbrechung den Ölpreis in die Höhe schnellen lassen.

Die europäische Wirtschaft ist alles andere als gesund, wenn wir einmal von Deutschland absehen. Aus Europa kann die Nachfrage nicht kommen, die derzeit gerade den Ölpreis für das Nordseeöl in die Höhe katapultiert.

Die US-Wirtschaft berappelt sich gerade und hat sich auf ein Preisniveau von 80-100 USD/Fass eingestellt. Das ist auch die Preisspanne, die ich aus der arabischen Welt gehört habe.

Dennoch steigt der Ölpreis über diese Spanne hinaus und wirtschaftlich nachvollziehbar ist der Anstieg in dieser Stärke nicht. Nicht wirtschaftlich. Aber finanztechnisch!

Wieder einmal treten Finanzakteure als maßgebliche Nachfrager auf. Nachfrager, die heute schon einen höheren Preis in der Zukunft antizipieren und daher immer mehr für das Öl zahlen können.

Sind es nur die Futures, die den Ölpreis machen? Nein, mir wurde von Geschäften berichtet, die auf einer ganz anderen Schiene laufen: Hedgefonds mieten Tanker und füllen diese bis an den Rand mit Öl.

So ein Tanker fasst bis zu 3 Mio. Fässer Öl, was einem Gegenwert von 372 Mio. USD entspricht. Die Miete für einen solchen Tanker beträgt pro Tag derzeit unter 20.000 USD, weil wir auch bei den Öltankern eine Flut von Zulassungen hatten. Die Preise sind im Keller, wie wir bei den Schüttgutschiffen am Baltic Dry sehen.

Auf das Jahr gerechnet betragen die Mietkosten weniger als 2% der Ladung, was bei den heftigen Preisschwankungen des Öls verschwindend gering ist. Sie können also davon ausgehen, dass derzeit Hedgefonds bei Nordic American Tanker oder Frontline anrufen und Angebote abgeben, die Tanker zu mieten. Die werden dann mit Öl gefüllt und irgendwo vor Anker gelegt, wie wir das in der Wirtschaftskrise 2007 / 2008 gesehen haben.

Solange der Konflikt zwischen Israel und dem Iran schwelt können Sie von einem täglich steigenden Ölpreis ausgehen. Das Risiko ist ja überschaubar: Weltweit werden staatliche Sparprogramme aufgelegt, die insbesondere die Förderung regenerativer Energien betreffen (siehe diese Woche Rösler und Röttgen). Öl bleibt ein wichtiger Bestandteil des Energiemixes in der Welt.

Und gleichzeitig scheint sich die Konjunktur nicht nur in den USA zu berappeln, auch in den Schwellenländern läuft es wieder besser. Und in Europa haben wir nun eine Lösung, da ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis unsere Wirtschaft auch wieder anzieht. Einen Ölpreiseinbruch von 147 auf 36 USD/Fass binnen weniger Wochen, wie wir es 2008 erlebt haben, dürfte sich derzeit nicht wiederholen.

GESUNDE UNTERNEHMEN

Wir haben also die Gefahr eines höheren Ölpreises vor Augen, und dennoch flirtet der Dow Jones mit Mehrjahreshochs, der DAX nimmt Anlauf auf die 7.000er Marke. Wie kommt es, dass die Gefahr aus dem Nahen Osten so ignoriert werden kann?

Im Jahr 2011 haben wir zu solchen Gelegenheiten immer gleich zwei Crashs erlebt: Zum ersten Mal, wenn sich eine Gefahr abzeichnete und dann nochmals, wenn sie dann eingetreten ist.

Denken Sie nur an die Abstufung der Kreditwürdigkeit der USA, an die steigenden Zinsen für spanische und italienische Staatsanleihen, an die unzähligen Verhandlungen und Probleme mit den Griechen, an die US-Schuldengrenze, die fast zur Zahlungsunfähigkeit der USA geführt hätte, ...

Das Jahr 2012 reagiert auf solche Gefahren völlig ignorant. Undjetzt muss ich mich als Börsenbriefautor für eine Meinung entscheiden. Entweder ich schreibe, dass diese Gefahren sich „bis jetzt“ noch nicht an der Börse niedergeschlagen haben, wiege bedächtig meinen Kopf und weise auf all die strukturellen Defizite Europas hin. Oder ich erkenne, dass Anleger den Unternehmen zutrauen, in diesen Strukturen Geld zu verdienen.

Sie kennen mich ja als unverbesserlichen Optimisten und können Sie sich vorstellen, dass ich mich für die zweite Option entscheide. Damit laufe ich nun Gefahr, von unzähligen Kritikern als naiv, blauäugig und vielleicht sogar dumm bezeichnet zu werden, denn Bedenkenträger haben sich in den vergangenen zwölf Jahren zu wahrhaften Gurus entwickelt.

Doch ich bin davon überzeugt, dass es eine ganze Menge Chancen für uns als Anleger gibt, von der derzeitigen Rallye an den Börsen zu profitieren.

Schauen Sie sich im heutigen TV-Interview das Geschäft von Hugo Boss an, ein Unternehmen, das unter der schwachen Konjunktur und den hohen Rohstoffpreisen hätte leiden müssen. Die Gewinne sprudeln wie nie zuvor! Hugo Boss hat seine Hausaufgaben gemacht und verdient ungeachtet des stets nahen Endes der Welt hervorragend.

Also: Ja, der Konflikt im Iran, der steigende Ölpreis, der steigende Euro, die nächste Staatsanleihenauktion im Euroland, ... es gibt vieles, das schief gehen kann und einiges davon wird wohl auch passieren. Die Börse wird dann heftig einbrechen – doch in meinen Augen nicht wieder in einen Abwärtstrend verfallen, sondern bestenfalls günstige Kaufgelegenheiten bieten.

Schauen wir einmal, wie sich die einzelnen Indizes diese Woche entwickelt haben:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (23.02.2012) | DIFF

Dow Jones: 12.985 | 0,6%
DAX: 6.809 | 0,9%
Nikkei: 9.647 | 2,8%
Euro/US-Dollar: 1,338 | 1,8%
Euro/Yen: 107,805 | 3,7%
10-Jahres-US-Anleihe: 1,98% | 0,0
Umlaufrendite Dt: 1,59% | 0,0
Feinunze Gold USD: $1.778,90 | 2,6%
Fass Brent Öl USD: $123,90 | 2,8%
Kupfer in US$/to: 8.363 | -0,3%
Baltic Dry Shipping I: 706 | -2,4%



Nicht nur gegenüber dem US-Dollar legte der Euro zu, sondern noch mehr gegenüber dem japanischen Yen. Dort zeigt das neue Liquiditätsprogramm der dortigen Notenbank Wirkung, endlich wird der Yen etwas schwächer. Der Nikkei dankt es mit einem Plus von 2,8%.

Privatanleger sind in Jubellaune während Analysten überwiegend neutral agieren, wie Sie den folgenden Sentiment-Daten entnehmen können:

SENTIMENTDATEN

Analysten
Empfehlungen (Anzahl Empfehlungen): Kaufen / Verkaufen
03.02.- 10.02. (288): 46% / 13%
10.02.- 17.02. (302): 48% / 11%
17.02.- 24.02. (251): 49% / 9%

Kaufempfehlungen der Analysten
Fresenius SE, Allianz, Alstria Office REIT

Verkaufsempfehlungen der Analysten
Telefonica, Belgacom, Hermes Intl.

Privatanleger
06. KW: 49% Bullen (160 Stimmen)
07. KW: 70% Bullen (130 Stimmen)
08. KW: 67% Bullen (131 Stimmen)

Kaufempfehlungen der Privatanleger
Vallourec, SEB, Commerzbank

Verkaufsempfehlungen der Privatanleger
Renault, Ubisoft Entertainment, Solarworld


Die Sentiment-Daten wurden in Zusammenarbeit mit Sharewise erstellt: http://www.sharewise.com?heibel


Im heutigen Ausblick habe ich mich um die Schlagworte Cloud, Datenzentren, Virtualisierung und schnellere Datennetze gekümmert. Eine Spekulation ist dabei herausgekommen, die schon in den nächsten Wochen aufgehen könnte. Doch wichtiger ist es, diese neue Welt der Technologie verstehen zu lernen.

Es ist nicht leicht und sicherlich kann ich keinen kompletten Überblick geben. Doch ein paar Bereiche sollten durch meine Ausführungen klarer werden.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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