Alt 30.01.15, 15:52
Standard So tickt die Börse: Tsipras könnte ein Segen für Europa sein
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Ich kann falsch liegen aber ich halte den neuen griechischen Präsidenten Tsipras nicht für so verkehrt, wie er derzeit in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Klar, seine Wahlkampfversprechen sind starker Tobak für die EU. Doch ich traue ihm zu, mit dem Rückenwind seines Wahlerfolges und mangels eigenem Netzwerk in der Welt der Reichen das System Griechenland tatsächlich grundlegend zu ändern.

Der Vorwurf Griechenlands an die EU ist, zu hohe Auflagen auferlegt bekommen zu haben. Vielleicht sind es aber nur die falschen Auflagen gewesen. Es wurden Ziele vereinbart, und dann wurde ein Plan verabschiedet, wie diese Ziele erreicht werden sollten. Der Plan wurde gemeinsam mit der griechischen Regierung erarbeitet.

Tsipras verurteilt den Plan, nicht aber das Ziel, soweit ich ihn bislang richtig verstanden habe. Der Plan wurde von der alten Regierung in einer Form ausgearbeitet, die eben kein funktionstüchtiges System zur Folge hat. Und hier möchte Tsipras ansetzen: Zuerst die Maschinen wieder anwerfen und dann notwendige finanzielle Mittel vermutlich von den Reichen holen. Griechenland hat eine ganze Reihe schwerreicher Unternehmer.

Ich stelle mir also vor, dass nach harten und nervenaufreibenden Verhandlungen mit der EU am Ende eine erneute Streckung der Zahlungsziele erfolgt, vielleicht eine weitere Zinssenkung, wenn das noch geht. Aber die EU wird nichts anderes tun können als Tsipras seinen Strukturwandel zuzugestehen und abzuwarten, ob's funktioniert.

Veränderungen an den Kreditvereinbarungen werden erneut nicht dazu führen, dass der Begriff Schuldenschnitt Anwendung findet. Europaweit wird man sehen, wie flexibel im Rahmen der Rettungsprogramme mit den Rückzahlungen umgegangen wird, und entsprechend werden auch Italien und Spanien wieder mehr Geld für Investitionen locker machen und sehenden Auges auf Neuverhandlungen zulaufen.

Doch unter'm Strich wird das die Konjunktur in Europa ankurbeln. Gemeinsam mit dem niedrigen Euro, dem niedrigen Ölpreis und dem QE der EZB könnten wir einen historischen Aufschwung in Europa erleben. Und im Zentrum der Nutznießer stehen wir hier in Deutschland, die Exportnation (niedriger Euro) und der sichere Hort für die Kapitalanlage (Staatsanleihen).

Tsipras könnte also tatsächlich die festgefahrenen Positionen der EU aufweichen und Bewegung in die Verhandlungen für die Gestaltung der künftigen europäischen Strukturen bringen. Die Änderungen sind leider nicht im Sinne meiner Ideologie oder der Ideologie der Deutschen Bundesbank, aber Veränderung ist derzeit besser als Stillstand. Und ich habe ja in der vergangenen Woche schon geschrieben, dass ich meinen Frieden mit dem lockeren Umgang mit dem Geld geschlossen habe.

Deswegen ist der DAX diese Woche um 2,9% angesprungen während alle anderen Indizes unter dem Druck der vermeintlich negativen Meldungen ins Minus rutschten. Schauen Sie selbst:

WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES

INDIZES (29.01.2015) | Woche Δ

Dow Jones: 17.417 | -2,2%
DAX: 10.738 | 2,9%
Nikkei: 17.606 | 0,5%
Euro/US-Dollar: 1,13 | -0,2%
Euro/Yen: 133,95 | -0,1%
10-Jahres-US-Anleihe: 1,75% | -0,15
Umlaufrendite Dt: 0,29% | -0,15
Feinunze Gold: $1.257 | -3,1%
Fass Brent Öl: $49,06 | -1,1%
Kupfer: 5.428 | -3,7%
Baltic Dry Shipping: 666 | -11,3%



In den USA haben wir die Woche mit den meisten Quartalsberichten dieser Saison hinter uns gebracht. Die Q-Zahlen waren durchwachsen. Internationale Unternehmen klagten über den starken US-Dollar, der in den Gewinn schnitt.

Microsoft erlebt mit der Umstellung auf das Cloud-Geschäft, worunter SAP bereits seit zwei Jahren leidet: Der Umsatz verschiebt sich in die Zukunft. Boeing vermeldet Erfolge auf allen Ebenen, nicht einmal der feste US-Dollar konnte dem Unternehmen etwas anhaben. Eine wichtige Aussage von Boeing: Flugzeuge werden aus sehr langfristigen Erwägungen bestellt und nicht aufgrund von kurzfristigen Ölpreisschwankungen. Zudem sei der Dreamliner konzipiert worden, als der Ölpreis vor vielen Jahren auf dem heutigen Niveau bei 45 USD/Fass lag.

Starbucks erobert China und weist einen steil ansteigenden Gewinn aus, in dem etwaige negative Währungseffekte gar nicht weiter auffallen. Gleichzeitig gibt es eine Reihe von nationalen Unternehmen, insbesondere Einzelhändler, Baumärkte und Restaurantketten, die schlecht gemanagt sind. Neue Technologien finden Einzug in die Läden um die Ecke, und wer nicht mitforscht, beklagt Kunden- und Margenschwund.

UPS hat eine Gewinnwarnung ausgegeben, als Grund hat der Markt auch hier schlechtes Management ausgemacht. FedEx ist wesentlich besser durch das Weihnachtsgeschäft mit Rekordumsatz gekommen.

So trennt sich die Spreu vom Weizen. Einzelne Aktien springen um 5% in die Höhe, wie heute McDonalds nach der Bekanntgabe, dass der CEO seinen Hut nimmt. Andere brechen ein, wie heute Alibaba nach schwachen Q-Zahlen. China wächst nicht so schnell wie gewünscht und entsprechend wächst auch Alibaba nicht so schnell wie von Anlegern erwartet.

So hat der Dow Jones unter starken Schwankungen die Woche mit -2,2% beendet. Der Euro setzte seine durch das QE der EZB initiierte Talfahrt fort. Die Umlaufrendite in Deutschland sinkt in Folge der Griechenlandwahlen weiter. Doch das Gold, oh Überraschung, geht zurück (-3,1%).

Ich werte das als ersten Indikator, dass die Liquiditätsflutung durch die EZB nicht nur die Preise verwässert, sondern auch Zuversicht schafft. Zuversicht, dass Europa doch noch vor einer Deflation oder gar Depression bewahrt werden kann. Und diese Zuversicht könnte sich meiner Erwartung nach bald schon in einen "überraschenderweise" steigenden Euro übertragen.

Niemand rechnet mit einem festen Euro. Es scheint ausgemachte Sache zu sein, dass der Euro auf 1:1 gegenüber dem US-Dollar fallen muss. Wie kann es auch anders sein, jetzt wo so viele Euros gedruckt werden, oder?

Oder aber die Liquiditätsflutung sorgt für Zuversicht, wie wir bereits am Ende der Goldhausse sehen können. Wenn nun noch der griechische Regierungspräsident Tsipras konstruktive Verhandlungen mit der EU führt, dann könnte der Euro durchaus auch eine kräftige Gegenbewegung erfahren. Shortseller würden überrascht und es käme zu einem Shortsqueeze, der meiner Einschätzung nach ziemlich schnell bis 1,22 USD/EUR laufen könnte.

Aber das gehört ins Land der Fantastereien, denn Tsipras ist ja böse und die Liquiditätsflutung muss den Euro schwächen, oder? Da widerspricht niemand. Und das macht mich skeptisch.

Das Nordseeöl hat sich unter 50 USD/Fass stabilisiert, das US-Öl (WTI) kämpft jeden Tag mit der 45 USD/Fass-Marke.

Insbesondere die USA schauen gebannt auf die Ölpreisentwicklung, und der Dow Jones bewegt sich ziemlich gegensätzlich zum Ölpreis. Dabei profitiert nur ein kleiner Teil, weniger als 15% der US-Wirtschaft, von einem hohen Ölpreis. Der Rest profitiert nicht oder es ist ihm egal. Dennoch fürchten die US-Amerikaner bei einem Ölpreis unter 45 USD/Fass, dass viele Bohrprojekte, die erst kürzlich gestartet wurden, defizitär werden. Und defizitär heißt, die Finanzierungen gehen über die Wupper, oder belly up, wie die Amis sagen.

Die Ziffer wird alle paar Wochen überarbeitet aber derzeit sind es eben die 45 USD/Fass. Jedes Projekt hat eine eigene Kalkulation aber Analysten haben sich derzeit darauf eingeschossen, dass genau bei 45 USD/Fass die meisten Bohr-Projekte defizitär werden. Und wenn dann Finanzierungen aus den Fugen geraten, wird die gesamte Branche durchgeschüttelt. Und ob das Auswirkungen auf die gesamte US-Wirtschaft haben könnte, darüber ist man sich noch nicht einig.

So wird der Dow Jones ausverkauft, wenn der Ölpreis (WTI) unter 45 USD/Fass rutscht. Und der Dow Jones springt wieder an, wenn der Ölpreis darüber hüpft. Achten Sie mal drauf.

Ich halte die Angst für unbegründet. Der Finanzsektor ist heute wesentlich stabiler aufgestellt, kann also Zahlungsausfälle besser wegstecken. Zudem ist die Ölbranche nicht ansatzweise so groß wie die Immobilienbranche, mit der sie derzeit manchmal verglichen wird. Also wird der niedrige Ölpreis früher oder später seine konjunkturfördernde Wirkung auch in den USA ausspielen.
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis)  
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