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Immer neue Ängste werden aufgetischt. Zum Beginn der Woche war die Liste der Katastrophen einfach zu lang:
Am Montag feierte Russland den Sieg über Nazideutschland vor 77 Jahren. Putins Rede enthielt zwar keine weiteren Drohungen oder Ankündigungen, dennoch hinterließ die Veranstaltung ein schlechtes Gefühl in der westlichen Welt. China verschärfte die Lockdown-Maßnahmen in Shanghai und Peking, den beiden größten Städten des Landes. Vor Shanghai liegen hunderte Containerschiffe vor Anker, weil sie mangels Personal (Lockdown!) nicht ent- und beladen werden können. Powell hatte in der Vorwoche ausgeschlossen, den US-Leitzins um mehr als 0,5% in einem Schritt anzuheben. Am Finanzmarkt befürchtet man nun, dass eine zu zögerliche Bekämpfung der Inflation nicht erfolgreich sein werde. Die Rendite der 10 Jahre laufenden US-Staatsanleihe blieb zum Wochenauftakt über der Marke von 3%. Somit setzte sich der Ausverkauf der hoch bewerteten Wachstumsunternehmen unvermindert fort. Der DAX brach am Montag ein bis auf 13.380 Punkte. Besonders auffällig war für mich, dass der Ausverkauf in den USA nach 14 Uhr stets nochmals einen neuen Schub erhielt. Das spricht dafür, dass viele kreditfinanzierte Aktienpositionen zwangsweise aufgelöst werden (Margin Call). In den vergangenen Jahren sind die Aktienmärkte eigentlich nur angestiegen. Man konnte nichts falsch machen. Je mehr man eingesetzt hat, umso mehr hat man verdient. In einem solchen Umfeld dauert es nicht lange, bis besonders gierige Anleger ihre Anlagesumme durch Kredite vergrößern. Die Kredite werden dann mit den Aktien, die sie kaufen, besichert. Wenn nun die Aktienkurse fallen, fällt der Wert ihrer Sicherheiten, während der Kredit unverändert bestehen bleibt. Irgendwann reichen die Aktien, die bspw. nur zu 50% als Sicherheit dienen dürfen, nicht mehr als Sicherheit aus. Der Anleger erhält einen Anruf mit der Aufforderung, ausreichend Aktien zu verkaufen, damit das Bargeld dann als Sicherheit ausreicht. Bargeld kann zu 100% als Sicherheit dienen. Kommt der Anleger der Aufforderung bis 14 Uhr nicht nach, werden Aktien aus seinem Portfolio zwangsverkauft. Ich habe diesen Effekt am Montag, am Mittwoch und auch am gestrigen Donnerstag beobachtet. Beim Zwangsverkauf geht der Broker willkürlich vor, es werden also teilweise große Aktienmengen unlimitiert auf den Markt geworfen, ohne Rücksicht auf Bewertungsniveau oder Qualität des Unternehmens zu nehmen. Das heißt, es gibt Aktien, die durch solche Effekte auf einem niedrigeren Kursniveau als bewertungstechnisch gerechtfertigt notieren. Zu deutsch: Es gibt Schnäppchen. So haben wir dann am Dienstag zwei Käufe getätigt und ich muss gestehen, das war alles andere als einfach. Umgehend erhielt ich E-Mails und sogar einen Anruf, wie ich denn Kaufen könne, wenn doch die Welt auseinander breche? Selbst meine Kooperationspartner, mit denen ich mich regelmäßig über die Märkte austausche, teilten mir mit, dass ihre Gespräche mit Unternehmenslenkern derzeit dermaßen pessimistisch ausfielen, weil jegliche produzierende Unternehmen Beschaffungsprobleme hätten. Aufgrund kaputter Lieferketten seien viele Vorprodukte einfach nicht mehr zu haben ... egal zu welchem Preis. Meine Einschätzung, dass diese Probleme der Grund für den Ausverkauf der vergangenen Monate sei, fand kein Gehör: Das sei erst der Anfang des Ausverkaufs, doch es werde noch viel schlimmer, so die Befürchtung meiner Gesprächspartner. Meine Meinung? Mag sein. Ich weiß es nicht. Kurzfristig haben wir jedoch Panik gesehen und daher dürften wir zumindest kurzfristig eine kleine Gegenbewegung sehen. Wie sich die Situation nächste Woche darstellen könnte, behandeln ich weiter unten. Kryptomarkt zieht Aktienmarkt in Mitleidenschaft Zunächst kam aber noch der gestrige Donnerstag: Ein weiteres Panik-Maximum. Diesmal jedoch nicht durch die oben aufgezählten Krisen verursacht, sondern durch den Kryptomarkt. Gestern ist der Stablecoin Luna über die Wupper gegangen. Abbildung 1: Ausverkauf des Stablecoins Luna / UST Der Luna ist eine der Token der Kryptowährung UST, die als Stablecoin stets im Verhältnis eins zu eins in US-Dollar gewechselt werden kann. Das Marketing-Argument war einfach: Investieren Sie in Kryptowährungen ohne Währungsrisiko. Ein völliger Quatsch. Jeder ernsthafte Anleger kann dann auch gleich den "echten" US-Dollar halten. Aber für Krypto-Trader gibt es bei Stablecoins den Vorteil, dass man seine Trades nicht stets über US-Dollar laufen lassen muss. Man bleibt in der Kryptowelt, wenn man also Bitcoin oder Tether verkauft und in Luna tauscht. Für die Kryptowährung wird durch den UST, den "US-Dollar Terra", die Bindung an den US-Dollar realisiert. Für jeden UST, der verkauft wird, wird ein US-Dollar gekauft. Das Versprechen des Stablecoins ist, dass der UST immer im Verhältnis eins zu eins in US-Dollar getauscht werden kann. Idealerweise hält man dafür entsprechend viele US-Dollar vor, um jederzeit zahlungsfähig zu sein. Doch das Geschäftsmodell gibt keinen Gewinn her. Wenn man mit dem Geschäftsmodell Geld verdienen möchte, dann muss man sich etwas ausdenken. Beispielsweise kann ein Teil des Geldes, das man für UST erhält, statt in US-Dollar für Kredite verwendet werden. Dort verdient man dann Zinsen und kann von den Zinsen das Geschäft betreiben. Blöd nur, wenn dann plötzlich alle auf einen Schlag ihre UST in US-Dollar zurücktauschen wollen. Es ist dann so etwas wie ein moderner Bankrun. Und das ist dem Luna alias UST gestern passiert. Es wurde so viel UST in US-Dollar getauscht, dass die Anbieter dieses Stablecoins am freien Markt US-Dollar kaufen mussten. Der Kaufdruck auf den US-Dollar sorgte für einen Kursanstieg des US-Dollars gegenüber allen anderen Währungen (US-Dollarindex) um 1,3% an nur einem Tag. Auf dem Währungsmarkt ist ein solcher Kurssprung gigantisch. Abbildung 2: US-Dollarindex zieht wegen des Krypto-Bankruns an Mit einem Volumen von ca. 10 Mrd. USD ist der Luna vergleichsweise klein gegenüber dem großen Stablecoin Tether, der inzwischen 80 Mrd. USD auf die Waage bringt. Ich habe bereits vor einem Jahr vor genau dieser Gefahr gewarnt, siehe meine Heibel-Ticker Ausgabe vom 10. Juni 2021. Somit haben wir ein neues Damoklesschwert, das über den Finanzmärkten kreist: Wir haben gesehen, dass die Implosion des Luna den Bitcoin mit in den Keller ziehen kann. Der Bitcoin ist im Mai zwischenzeitlich um 35% eingebrochen. Und der Bitcoin zieht dann auch den Aktienmarkt mit in den Keller, wie wir gestern sehen konnten. Was also, wenn nun der Tether einen Bankrun erlebt? Der Tether ist wesentlich besser mit US-Dollar hinterlegt als der Luna. Somit ist die Gefahr derzeit nicht ganz so groß. Doch ausgeschlossen ist es nicht, dass der Tether irgendwann ebenfalls einen Bankrun erleben wird, der die Zahlungsfähigkeit übersteigt. Was den Bitcoin betrifft: Die starken Kursschwankungen sind ein Zeichen dafür, dass das Finanzsystem der Kryptowährungen noch nicht reif ist. Doch die Probleme haben ihren Ursprung in anderen Kryptowährungen, nicht im Bitcoin. Im Gegenteil, die technische Überlegenheit des dezentralen Bitcoin-Systems zeigt sich mit jedem Problem immer deutlicher. Schauen wir mal, wie sich die wichtigsten Indizes im Wochenvergleich entwickelt haben: Wochenperformance der wichtigsten Indizes INDIZES (12.05.22) Woche Δ Σ '22 Δ Dow Jones 32.223 -2,0% -11,3% DAX 14.028 2,6% -11,7% Nikkei 26.428 -2,1% -8,2% Shanghai A 3.233 2,8% -15,3% Euro/US-Dollar 1,04 -1,5% -8,2% Euro/Yen 134,56 -2,4% 2,9% 10-Jahres-US-Anleihe 2,92% -0,18 1,40 Umlaufrendite Dt 0,74% -0,20 1,02 Feinunze Gold $1.811 -4,1% -0,7% Fass Brent Öl $111,07 -1,8% 41,0% Kupfer $9.139 -3,3% -5,7% Baltic Dry Shipping $3.117 17,9% 40,6% Bitcoin $30.440 -15,9% -35,2% Heute früh twitterte Elon Musk, die Twitter-Übernahme sei vorerst auf Eis gelegt, weil Twitter nicht nachweisen könne, dass weniger als 5% der Twitternutzer Bots seien. die Aktie von Twitter brach daraufhin um 20% ein, die Aktie von Tesla schoß um 7% in die Höhe. Twitter ohne Elon Musk würde wieder auf das ursprüngliche Niveau um 30 USD zurückfallen, das wären insgesamt -30%. Doch auf Eis gelegt heißt ja noch nicht abgesagt. Inzwischen konnte die Aktie das Minus auf -10% reduzieren. Wegen der Übernahme befürchten Tesla-Aktionäre, Elon Musk müsse sich von einer ordentlichen Anzahl Tesla-Aktien trennen, was den Kurs drücken würde. Findet die Übernahme nun doch nicht statt, dann bleibt dieser Verkaufsdruck vermutlich aus. Daher steigt die Aktie von Tesla. Selbst wenn die Übernahme stattfindet, so hat Elon Musk nun, durch das "auf Eis legen" mehr Zeit, die entsprechenden Aktien zu verkaufen, ohne den Kurs über Gebühr zu belasten. ...oder, um es anders auszudrücken: Geschickt gemacht von Elon Musk, einen Grund zu finden, der ihm mehr Zeit für die Sicherstellung der Finanzierung der Übernahme gibt. In meinen Augen stellt die Prozentzahl, wie viele Bots auf Twitter unterwegs sind, die Übernahme nicht in Frage. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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