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Heute wird's schwer für mich: Unzählige Risiken lasten auf den Märkten, doch Lösungsvorschläge geistern durch die Medien. Beim Brexit solle es einen Lösungsweg geben, den Briten, Iren und Europäer akzeptieren könnten. Entsprechende Gespräche finden zur Zeit statt. China und die USA verhandeln und Donald Trump zeigte sich zuversichtlich. Mit einem Tweet schickte er gestern Nachmittag die Börsen in den Rallye-Modus:
Donald J. Trump: "Big day of negociations with China. They want to make a deal, but do I? I meet with the Vice Premier tomorrow at The White House." Großer Verhandlungstag mit China. Sie wollen sich einigen, aber möchte ich das auch? Ich treffe den chinesischen Vize-Premier morgen im Weißen Haus. Eine "Einigung" ist meiner Einschätzung nach unmöglich. Es werden allerdings viele mögliche Teillösungen diskutiert, die gegebenenfalls kurzfristig positiv auf die Finanzmärkte wirken könnten. So hat China bereits angekündigt, die Agrar-Käufe von US-Produkten weiter zu vergrößern. Zudem könnte es konkrete Zusagen Chinas in Sachen Währungsmanipulation geben, wenn die USA im Gegenzug die für den 15. Oktober angekündigte Erhöhung der Strafzölle von 25% auf 30% auf Produkte im Volumen von 250 Mrd. USD realisiert. Solche Teileinigungen könnten als wichtiger Schritt in die richtige Richtung ein überaus positives Signal sein. Entsprechend ist in freudiger Erwartung der DAX heute schon mit 2% im Plus (15 Uhr). Doch ich möchte Ihnen die Liste der Probleme nochmals vor Augen führen, damit Sie nicht zu euphorisch werden: 1. Patentdiebstahl, Diebstahl von geistigem Eigentum In China gilt es als dumm, wenn man etwas entwickelt, was ein anderer schon entwickelt hat. Es gilt als clever, wenn man sich Zugang zu erforderlichem Knowhow verschafft ... egal mit welchen Mitteln. Wenn dabei ein anderes Unternehmen geschädigt wird, dann gilt das andere Unternehmen als dumm. Aus dieser Sichtweise ist schnell ersichtlich, dass unsere Vorstellung von Patentrecht in China auf Unverständnis trifft. 2. Erzwungener Knowhow-Transfer durch Joint Ventures mit chinesischer Mehrheit Dieser Diebstahl geistigen Eigentums wird sogar durch die Regierung unterstützt, indem Unternehmen, die in China Geschäfte machen wollen, gezwungen werden, sämtliches Knowhow in ein Joint Venture einzubringen, dessen Mehrheit stets bei Chinesen liegen muss. 3. Chinesisches Hacken, Cyberangriffe 90% aus China Das US-Verteidigungsministerium hat veröffentlicht, dass die Spuren bei 90% aller Hackerangriffe in den USA auf US-Unternehmen nach China führen, häufig sogar zu chinesischen Regierungsorganisationen. Der Schaden, der US-unternehmen dadurch zugefügt wird, ist nur das Eine. Doch gleichzeitig geraten immer mehr Informationsmosaiksteinchen über die US-Wirtschaft in die Hände chinesischer Hacker, so dass sich in China das Bild der USA immer besser nachzeichnen lässt. 4. US-Unternehmen werden ausgenutzt Die Erkenntnisse aus den Hackerangriffen und den Joint Ventures wird aktiv genutzt, um US-Unternehmen Konkurrenz zu machen und diese, wenn möglich, zu verdrängen. 2001 ist China der Welthandelsorganisation WTO beigetreten und konnte somit auf Märkten agieren, die zuvor für das kommunistische Land verschlossen waren. Die Folge waren unzählige Pleiten in vielen Traditionsunternehmen außerhalb Chinas: Schuhe und Krawatten über Spielzeug bis hin zu Fernsehern kommen heute aus China, entsprechende deutsche, italienische, US-amerikanische Unternehmen gingen Pleite. 5. Staatliche Subventionen für chinesische Unternehmen In strategisch wichtigen Bereichen können chinesische Firmen auch auf eine staatliche Unterstützung zählen. So werden Branchen, die von der einen chinesischen Partei als zukunftsträchtig definiert werden, systematisch gefördert, um die weltweite Konkurrenz kaputt zu machen. Schauen Sie sich mal unsere Solarindustrie an. 6. Währungsmanipulation Es gilt fast schon als Kavaliersdelikt bei Entwicklungsländern, wenn die eigene Währung etwas billiger gehalten wird, als sie eigentlich wäre, denn das fördert den wirtschaftlichen Aufschwung des Entwicklungslandes. China hat das über viele Jahre unter den Augen der WTO gemacht, doch China ist schon lange kein Entwicklungsland mehr. Inzwischen konkurriert China mit den USA in vielen Bereichen bereits um die Vorherrschaft. Der Punkt der Währungsmanipulation wird insbesondere von Donald Trump strapaziert. Ich habe mich jedoch bereits mehrfach an Kaufkraftvergleiche gesetzt und komme seit zwei Jahren immer wieder zu dem Ergebnis, dass die Zeiten der billigen chinesischen Währung vorbei sind. Wenn in diesem Punkt heute eine "Teileinigung" erzielt wird, dann in meinen Augen nur, weil Donald Trump vielleicht inzwischen auch überzeugt wurde, dass dieser Vorwurf nicht mehr haltbar ist. 7. Fentanyl Export beenden & Schuldige bestrafen Im Jahr 2017 starben 48.000 US-Amerikaner an einer Überdosis Fentanyl. Fentanyl ist ein synthetisches Opiat, also Schmerzmittel, das günstiger ist als die traditionellen Opiate und 50 mal wirkungsvoller als Heroin, das von einigen Schmerzpatienten ebenfalls als Substitut verwendet wird. Eine Überdosis ist die häufigste Todesursache für US-Amerikaner unter 50 Jahren. Der Grat zwischen der richtigen Dosierung für die optimale Wirkung und einer Überdosis ist sehr schmal. Fast 100% des günstigen Fentanyl stammen aus China. Ärzte und Apotheken haben Netzwerke gebildet, die dieses gefährliche Mittel in großen Mengen vertreiben, weil die Patienten eben nach dieser billigen Lösung verlangen. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder entsprechende Netzwerke ausgehoben, die US-Amerikaner erhielten hohe Strafen. Auf der chinesischen Seite geschah lange Zeit nichts. Weder wurden Schritte unternommen, die Produktion in China und den Export in die USA zu unterbinden, noch wurden die Schuldigen bestraft. Im Frühjahr verkündete Trump per Twitter: "Ich habe Präsident Xi gesagt: Fentanyl darf nicht länger in unser Land. Fast 100 Prozent kommen aus China. Er hat mir versprochen, dass es für die Produktion die Höchststrafe gibt, was in China die Todesstrafe ist. Dieser Tweet zählt zu den Zusagen Chinas, deren Umsetzung noch auf sich warten lässt. 8. Huawei Der chinesische Technologiegigant hat sich im oben beschriebenen Sinne viel von den US-Technologieunternehmen abgeschaut und bietet nun viele Produkte günstiger an. In Sachen 5G-Netzwerktechnologie hat Huawei sogar technologisch die Nase vorn, weit vor Nokia und Ericsson. In der Branche gilt es als unmöglich, das 5G-Netz ohne Huawei-Technologie schnell und effizient auszubauen, wobei in Europa auch der Unterton mitschwingt, Nokia und Ericsson seien selber schuld, nicht wettbewerbsfähig zu sein. Mag sein, vielleicht ist das einer der ersten Bereiche, in denen China an den Industrieländern vorbei fliegt. Viele Komponenten der 5G-Netzwerktechnologie werden auch von der US-Armee modifiziert und verwendet, daher wurde es Huawei untersagt, in den USA Vorprodukte einzukaufen. Die Endprodukte werden dann von Huawei in Länder verkauft, in denen die USA ihre Komponenten nicht sehen möchten. China soll sich an Vorgaben der WTO halten und verhindern, dass Konzerne wie Huawei mit "falschen" Ländern Geschäfte machen. 9. Menschenrechtsverletzungen Die ganze Welt hat auf Hongkong geschaut, als die Massen gegen ein Auslieferungsgesetz mobil machten. Inzwischen ist das Thema aus den Tagesthemen verschwunden, dennoch demonstrieren in Hongkong weiterhin Menschen gegen die sukzessive Eingemeindung Hongkongs nach China. China hingegen hat vor den Toren Hongkongs das Militär auffahren lassen und agiert Berichten zufolge derzeit noch vorsichtig gegen die identifizierten "Unruhestifter". Schlimmer noch ist die Vorgehensweise gegen Minderheiten in China: So werden Menschen mit Hilfe von Gesichtserkennung systematisch überwacht. Die USA haben diese Woche 28 chinesische Unternehmen und Organisationen auf eine Schwarze Liste gesetzt: An diese Unternehmen darf ab sofort nur noch mit Genehmigung der US-Regierung verkauft werden. Es handelt sich dabei um chinesische Unternehmen, die US-Technologie einsetzen, um die Gesichtserkennung weiter zu verbessern. Wir haben daraufhin Nvidia aus unserem Heibel-Ticker Portfolio geworfen. Interessant in diesem Zusammenhang: Auch Apple ist inzwischen ins Visier der chinesischen Regierung geraten: Über den App Store wurde eine App verfügbar gemacht, die es den ehrlichen Arbeitern Hongkongs ermöglicht, ihren Weg zur Arbeit um die Demonstrationen herum zu planen. Über Crowdsourcing hat die App HKmap.live die Positionsdaten der Hongkonger Polizisten und Polizeifahrzeuge erfasst und verfügbar gemacht. Die Formulierung, die App sei für die Hongkonger Arbeiter, ist natürlich nur ein Marketinggag: Die Demonstranten haben über diese App Informationen ausgetauscht, wo die Polizei auf sie wartete und konnten so ihre Marschrichtung immer wieder entsprechend anpassen. Apple hat diese App inzwischen wieder aus dem App-Store entfernt. Wenn ich mir nun diese Liste der Probleme vor Augen führe, die Trump mit China hat, dann ist es ziemlich unmöglich, dass heute eine "Einigung" verkündet wird. Dieses Thema wird uns noch lange Zeit erhalten bleiben. Und wenn Sie glauben, eine demokratische US-Präsidentin Elizabeth Warren bspw. würde den Chinesen im Falle ihres Wahlsiegs im November 2020 die Friedenspfeife reichen, dann haben Sie sich getäuscht: In ihren Wahlkampfreden zeigt sie eher mehr Härte als Trump gegenüber den Chinesen. Auch die Demokraten haben also inzwischen das Wahlkampfthema China für sich entdeckt. So bleiben wir dabei, unser Portfolio eher defensiv auszurichten und Unternehmen zu meiden, die unter dem Handelsstreit leiden könnten. Seit dieser Woche ist nun überraschenderweise auch der Pharma- und Biotech-Bereich hinzu gekommen: der niederländische Medizintechniker Qiagen (Molekulardiagnostik) vermeldete einen Umsatzeinbruch. Der Grund: Der Absatz in China sei eingebrochen. Eingebrochen ist denn auch die Aktie, und zwar um 21%. Viele andere Aktien der Pharma- und Biotech-Bereiche ließen ebenfalls Federn. Der verantwortungsvolle Investor kann derzeit also keine Aktien kaufen, die - irgendwie mit China in Verbindung gebracht werden können, - irgendwie unter einem harten Brexit leiden könnten, - irgendwie mit der disruptiven Entwicklung im Automobilmarkt zusammenhängen könnten, - irgendwie vom Wohl fossiler Brennstoffe abhängen könnten, - irgendwie unter einer zyklischen Konjunkturschwäche leiden könnten, oder - irgendwie unter einem anziehenden Zinsniveau leiden könnten. Und in dieser Situation sehe ich, wie die Aktienmärkte heute in die Höhe schießen. Kann der harte Brexit vielleicht tatsächlich noch in der Nachspielzeit vermieden werden? Oder ist die Stimmung auf einem so depressiven Niveau, dass wir feststellen können: "Schlimmer kann's nimmer"? Dieser Frage werde ich im Kapitel 03 nachgehen. Doch zuvor schauen wir uns noch die Wochenentwicklung der wichtigsten Indikatoren an und ich erkläre noch das letzte "irgendwie" meiner Liste, das Zinsniveau. WOCHENPERFORMANCE DER WICHTIGSTEN INDIZES INDIZES (11.10.2019) Woche Δ Σ '19 Δ Dow Jones 26.816 1,5% 16,3% DAX 12.512 4,2% 18,5% Nikkei 21.799 1,8% 8,9% Shanghai A 3.115 2,4% 19,3% Euro/US-Dollar 1,10 0,5% -3,5% Euro/Yen 119,64 2,0% -5,2% 10-Jahres-US-Anleihe 1,75% 0,23 -0,98 Umlaufrendite Dt -0,48% 0,11 -0,58 Feinunze Gold $1.486 -1,4% 16,0% Fass Brent Öl $60,14 3,3% 15,2% Kupfer 5.727 0,0% -4,8% Baltic Dry Shipping 1.809 0,0% 42,3% Bitcoin 8.314 0,0% 112,0% Die Umlaufrendite hat diese Woche um 0,11%punkte zugelegt. Ich weiß, bei den meisten von Ihnen bildet sich sofort ein Kloß im Hals, wenn ich von Zinsen zu sprechen beginne. Aber die Bedeutung für den Aktienmarkt ist gar nicht so schwer zu verstehen und wichtiger als viele andere Einflussfaktoren, mit denen Sie sich täglich beschäftigen. Wie Sie wissen, bin ich kein Freund von noch-EZB-Chef Mario Draghi. Und seine Nachfolgerin Christine Lagarde hat noch nicht einmal ihren Schreibtisch eingeräumt, da hat auch sie bei mir schon verloren. Diese Woche habe ich Unterstützung in meiner ablehnenden Haltung bekommen, und zwar von einer ganzen Reihe von Notenbankexperten: Anfang der Woche haben ehemalige Notenbankmitglieder wie Otmar Issing und Jürgen Stark eine offene Kritik formuliert, dass die EZB in eine Situation manövriert wurde, in der weitere Lockerungsübungen keinen Effekt mehr hätten. Es sei falsch, in dieser Situation weitere Lockerungen voranzutreiben. Dieses Schreiben kommt kurz nachdem das deutsche Mitglied der EZB, Sabine Lautenschläger, das Handtuch geworfen hat. Und gestern wurde zudem bekannt, dass Mario Draghi mit seiner Entscheidung, monatlich wieder Anleihen im Volumen von 20 Mrd. Euro anzukaufen, gegen die Empfehlung des wissenschaftlichen Rats der EZB gehandelt hat. Das sei sonst nie vorgekommen. In dem sonst so auf Einstimmigkeit achtenden Gremium herrscht offene Revolte: Mehrere Notenbankmitglieder haben inzwischen öffentlich gemacht, dass sie gegen die erneuten Anleihekäufe waren. Ich habe keine Ahnung, wohin diese Entwicklung personell führen könnte. Am Markt jedoch ist der Zins ein wenig angesprungen. Das historische Rekordminus von vor zwei Wochen (-0,7%) wurde verlassen. Ist das die Zinswende? Wenn das der Beginn der Zinswende sein sollte, dann machen Sie sich darauf gefasst, dass Dividendentitel wie Versorger in den kommenden Monaten unter Druck geraten. Denn der größte Kapitalmarkt ist der Anleihemarkt. Wenn Anleger, die auf einen möglichst stabilen Zins- oder Dividendenstrom aus ihren Anlagen angewiesen sind, diesen Rückfluss im Umfeld negativer Zinsen nicht mehr aus Anleihen ziehen können, dann kaufen sie Versorger. Ein Grund, warum die Aktien der Versorger in den vergangenen Monaten (Jahren?) recht gut liefen, ist die Notwendigkeit großer Anleger, verlässliche Zahlungsströme zu finden. Wenn die Zinsen irgendwann zu steigen beginnen sollten, dann wird der Druck, der auf den oben genannten Anlegern lastet, geringer. Zunächst kaufen sie wenige Versorger ein, irgendwann sind Anleihen wieder attraktiv genug, so dass sie die Versorger verkaufen. Dabei ist es dann egal, wie gut das Geschäft des jeweiligen Versorgers läuft, oder aber auch, wie hoch die Dividende ist. Für Anleiheanleger ist es von großem Vorteil, einen genau berechenbaren Rückfluss zu haben. Und das liefert eben eine Anleihe. Die Dividende unterliegt immer dem Risiko des Geschäftsverlaufs. | ||
Für Inhalt und Rechtmäßigkeit dieses Beitrags trägt der Verfasser Stephan Heibel die alleinige Verantwortung. (s. Haftungshinweis) | ||
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